Die Lagune Der Flamingos
Annelies Beerdigung fuhren Eduard und Mina nach Buenos Aires.
Achtzehntes Kapitel
Dieses Mal begleitete Eduard Mina zur Plaza de la Victoria. Mina wollte sich keinen Moment von der Siegessäule entfernen. Eduard verstand sie und bemühte sich darum, sie aufzumuntern.
»Mina, er wird nicht nur einmal am Obelisken vorbeikommen und dann sofort wieder gehen. Wir können uns gewiss etwas zu essen holen.«
Mina schüttelte den Kopf. »Ich habe ohnehin keinen Hunger.«
»Durst? Du wirst noch in Ohnmacht fallen, wenn du weder etwas trinkst noch etwas isst.«
»Nein, nein, ich brauche nichts.«
Nach einer Weile ließ Eduard Mina in Ruhe und kaufte einfach ein paar Orangen, schälte eine und bot Mina davon an.
»Hier, iss wenigstens ein wenig Obst.«
Mina nahm abwesend eine Orangenspalte und fuhr fort, den Obelisken anzustarren, die tropfende Frucht in der Hand.
»War es, als du das letzte Mal hier warst, auch so laut?«, erkundigte sich Eduard. »Ich habe den Eindruck, auf dieser Feier geht es immer ausgelassener zu.«
Mina zuckte die Achseln.
»Vielleicht liegt es auch daran, dass ich älter werde«, sinnierte er.
»Ich weiß nicht. Ich erinnere mich nicht mehr daran«, gab Mina zurück. »Ich …« Sie brach ab. »Da«, rief sie im nächsten Moment heiser, »da ist … Er ist da!«
Und dann rannte sie los.
Franks Schiff war an diesem Tag wegen des widrigen Wetters später eingetroffen, aber er hatte sich sofort nach der Ankunft zur Plaza aufgemacht. Er konnte nicht sagen, was er erwartete, nur, dass es ihm wichtig war, diesen Ort an diesem Tag aufzusuchen. In all den Jahren hatte er immer wieder in Erwägung gezogen, dass Annelie ihm tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Demnach wäre Mina tot, gestorben an der Cholera. Aber er hatte sich nicht damit abfinden können.
Und dann sah er sie plötzlich: Mina.
Seine Mina .
Er erkannte sie sofort, obwohl sie sich gut zehn Jahre nicht gesehen hatten. Menschen veränderten sich. Aber das dort war Mina, ganz unzweifelhaft seine Mina.
Als sie sich dem gut situierten Kerl im Anzug an ihrer Seite zuwandte, wollte Frank sterben. Sie war also verheiratet, es war zu spät. Vielleicht hatte Annelie ihn schonen wollen. Er hatte verloren.
Verloren, verloren, verloren …
Frank machte auf dem Fuß kehrt.
Nur weg, nur weg von diesem Ort.
»Frank!«
Ihre Stimme …
Er kämpfte noch mit der Entscheidung, ob er stehen bleiben oder weiterlaufen sollte, da hatte Mina ihn schon erreicht. Beinahe willenlos ließ er sich von ihr herumziehen.
»Frank«, sagte sie noch einmal.
Einen Moment starrte er sie nur an. »Du … du bist so schön«, stammelte er dann heiser. »Ich habe immer daran gedacht, wie schön du bist, aber du bist noch viel schöner.«
Er wollte fragen, wie es ihr ergangen war, aber sie schlang einfach die Arme um ihn, presste sich an ihn und beraubte ihn aller Worte. »Mina, ich …« Er löste sich sanft von ihr und nahm allen Mut und alle Kraft zusammen. »Stellst du mich deinem Mann vor?«
»Meinem was?«
Frank nickte zu Eduard hin. »Deinem Mann, Mina. Ich mache dir keinen Vorwurf … Zehn Jahre sind eine lange Zeit.«
»Meinem Mann?« Zum ersten Mal an diesem Tag lachte Mina hell auf. »Das ist doch nicht mein Mann. Das ist Eduard, ein sehr guter Freund.«
Frank hörte ihre letzten Worte kaum mehr. »Nicht dein Mann?«, echote er.
»Nein«, sagte Mina. »Du bist mein Mann. Ich habe die ganzen Jahre nur auf dich gewartet.« Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. »Küss mich, bitte, küss mich.«
Frank kam ihrer Aufforderung nach, und es war, als würde die Welt um sie herum versinken.
Epilog
Buenos Aires, 1890
Ein wunderbarer Tag ging zu Ende. Marlena und John, die zwei Jahre zuvor geheiratet hatten, waren zu Besuch gekommen, um Anna und Julius die schöne Nachricht zu übermitteln, dass sie beide erneut Großeltern wurden. Nachdem John einige Zeit in Annas Fuhrunternehmen gearbeitet hatte, verdiente er sein Geld nun wieder vorwiegend als Journalist. Heute übernachtete die kleine Familie im Haus der Meyer-Weinbrenners in Belgrano, bevor sie am nächsten Tag mit dem Zug nach Tres Lomas weiterfahren wollte. John plante, Leben und Arbeitsumstände der Zuckerrohrschneider genauer kennenzulernen – an seinen Interessen hatte sich nichts geändert. Marlena freute sich auf Estella, die den Besuch der Freundin kaum erwarten konnte, denn es gab viel zu erzählen. Vor wenigen Monaten erst waren Marlena und John von einer Reise durchs südliche
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