Die Lagune Der Flamingos
von Säulen gesäumte Veranda gelangte man in eine großzügige Halle, an die sich der erste Patio anschloss. Rund um den Innenhof zog sich ein zweistöckiges Gebäude mit vielen, im oberen Stockwerk gelegenen Gästezimmern und größeren und kleineren Salons und Empfangsräumen im Erdgeschoss. Wer nicht zur Familie gehörte, das erfuhr Mina bald, lernte nie mehr als diesen ersten Patio kennen, und auch hierher wurden nur die engsten Freunde gebeten. Ein weiterer Patio schloss sich an, auch dieser von einem zweistöckigen Gebäude umgeben. Hier lagen die Schlafzimmer der Familie, von denen man einen schönen Ausblick hatte, denn dieser Hof war mit Topfpflanzen und Bäumen bestanden, ein zierlicher Springbrunnen befand sich in der Mitte. Bei gutem Wetter wurde hier gegessen. Unter einem der Bäume stand ein Ensemble aus schmiedeeisernen Bänken und Stühlen, auf denen weiche Kissen lagen. Hier verbrachte Frau Dalberg einen Teil ihres Tages. Weit hinten, am Ende eines dritten Patios, lagen die Behausungen der Dienerschaft. Dort schlief Mina nun unter der Woche – so gut wie lange nicht mehr. Hier fand sich auch ein Vorratsraum mit Holz und Kohle sowie ein Badezimmer mit einem riesigen Zuber.
Vorerst gehörte es zu Minas Aufgaben, beim Einkauf und bei der Zubereitung der Speisen zu helfen, zu spülen und zu putzen, nach Kräften all das zu tun, was ihr aufgetragen wurde. Damit sie ein Mindestmaß an Bildung erfahre, wie Frau Dalberg sagte, nahm diese sie außerdem zuweilen zu ihren Bibelnachmittagen mit. Mina fiel auf, dass sie schon lange verlernt hatte, zu beten, doch davon musste niemand erfahren. Als am Ende der ersten Woche ihr Lohn ausgezahlt wurde, zögerte sie. Frau Dalberg schaute sie prüfend an.
»Was ist, Mina, gibt es etwas, was dir missfällt? Du bekommst so viel wie alle meine Mädchen, genauso viel sogar wie die, die schon länger hier sind.«
Mina schüttelte den Kopf. Ihr war da ein Gedanke gekommen, noch wagte sie es kaum, ihn auszusprechen, um nicht ungehorsam zu erscheinen.
»Nein, das ist es nicht, Frau Dalberg«, flüsterte sie heiser.
»Nun, was ist es dann?« Frau Dalberg schien bereits die Geduld zu verlieren.
Mina nahm allen Mut zusammen. »Würden Sie … würden Sie ein paar Pesos zurückbehalten und für mich sparen?«
Frau Dalberg hob eine ihrer kunstvoll nachgezogenen Augenbrauen. »Willst du etwa deinen Vater betrügen, Mina?«
»N … nein«, stammelte Mina, »nein, n … natürlich nicht … Das ist es nicht, das ist es wirklich nicht.«
Frau Dalbergs Blick machte Mina darauf aufmerksam, dass sie eben dabei war, ihre Schürze zu ruinieren, so sehr krampften sich ihre Hände um den Stoff. Betreten ließ sie sie sinken. Wie konnte sie dieser Frau nur ihr Anliegen erklären? Wie konnte sie ihr verständlich machen, was sie sich überlegt hatte, ohne einen falschen Eindruck zu erwecken?
»Und wie willst du das sonst nennen?«, brach Frau Dalbergs Stimme unerbittlich in ihre Gedanken.
Mina holte tief Luft. Vielleicht sollte ich einfach die Wahrheit sagen, überlegte sie, vielleicht hilft mir das.
»Kennen Sie meinen Vater?«, fragte sie also leise und dieses Mal, ohne zu stottern.
Etwas, das sie nicht erwartet hatte, geschah nun. Ein Lächeln erhellte Frau Dalbergs eben noch hartes Gesicht. »O ja, ich kenne ihn«, jetzt lachte sie sogar laut, »und weißt du was, Mina, ich begrüße deinen Vorschlag. Er zeugt von Weitsicht.«
Mina starrte ihre Arbeitgeberin verblüfft an.
»Wir alle kennen Xaver Amborn, nicht wahr?«, fuhr Frau Dalberg fort, und zum ersten Mal zeigte sich etwas wie Abscheu auf ihrem sonst zumeist unbewegten Gesicht. »Wer mit ihm zusammenwohnt, muss sicher Weitsicht zeigen, und glaub mir, Mina …«, jetzt beugte sich Frau Dalberg sogar vor und tätschelte ihre Hand, »die Männer müssen auch nicht alles wissen, was wir tun. Mein Mann tut das gewiss nicht.«
Mina war, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Ihr Gefühl schwankte indes zwischen Erstaunen, Erleichterung und Unverständnis.
Aber Xaver Amborn ist doch auch Frau Dalbergs Vorarbeiter, fuhr es ihr durch den Kopf, warum beschäftigt sie jemanden, von dem sie charakterlich so wenig hält?
Doch sie fragte nicht. Es ging sie ja auch nichts an. Was zählte, war der erste Schritt, den sie getan hatte. Jetzt wusste sie, dass sie eines Tages aus Esperanza entkommen konnte, aus der Stadt, der man den Namen Hoffnung gegeben hatte und die für ihre Mutter und sie nichts anderes als die Hölle auf Erden
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