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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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schob sich unvermittelt die Erinnerung an den Anblick des verängstigten Sklavenjungen vor die friedliche Kulisse, und als hätte er nur darauf gelauert, tauchte unversehens auch der Taschendieb wieder in ihren Gedanken auf. Er glitt zuerst neben, dann vor den Sklavenjungen und schien sie aus ihrer Erinnerung heraus anzublicken.
    Ein Hauch von Kälte schlich sich in die sonnenerwärmte Luft, er zog von hinten in ihren Nacken und strich über ihren Rücken, und für einige Augenblicke wusste sie nicht, ob er der Wirklichkeit entstammte oder aus einer noch unbekannten Zukunft kam.
    Laura konnte das Gebäckstück nicht aufessen und zerdrückte es in ihrer Hand zu einem matschigen Ball.
    »Ich möchte nach Hause«, sagte sie. »Mutter wartet sicher schon.«
    Ihr Vater musterte sie erstaunt, doch dann nickte er und schlug sofort den Weg zum Torre dell’Orologio ein, wo sie den Durchgang zur Merceria passierten und in Richtung des Kanals, wo ihre Gondel lag, weitergingen.
    »Hast du etwas ... gesehen?«, fragte er in bemüht leichtem Ton.
    Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er darüber sprach. Wenn überhaupt je in der Familie über ihre Ahnungen geredet wurde, geschah es stets in so beiläufigem Ton, als ginge es um die Frage, was es zum Mittagessen geben würde oder ob der Himmel nach Regen aussah.
    »Nein«, sagte Laura, aber es war nicht die ganze Wahrheit. Sie hatte eine Gefahr gesehen, oder vielmehr wahrgenommen, denn Bilder waren es nicht, die sie dabei vor Augen gehabt hatte. Es waren eher Gedanken, unklare Eindrücke von kommenden Geschehnissen, und sie wagte es nicht, sie in Worte zu kleiden, weil sie fürchtete, damit Unheil herbeizureden, so wie es schon mehrfach geschehen war.
    Im Zusammenhang mit ihrer Mutter hatte sie die Gefühle seit Wochen, und sie tat alles, um sie zu verdrängen, in der Hoffnung, dass sie es sich nur einbildete. Trotzdem lastete die Erwartung der bevorstehenden Niederkunft auf ihnen allen wie ein Felsklotz, der ihnen die Luft zum Atmen nahm. Ihre Eltern schienen es ebenso zu spüren wie sie, doch gesprochen wurde nicht darüber, denn das hätte bedeutet, sich mit der Bedrohung zu befassen. Deshalb bewahrten sie einfach Stillschweigen, das war das Beste, was sie tun konnten.
    Doch das, was sie vorhin gefühlt hatte, bezog sich allein auf die beiden Jungen. Den Sklaven und den Taschendieb. Besonders den Taschendieb. Laura weigerte sich, daran zu denken, aber die Empfindungen waren stark gewesen, sehr stark. Irgendwann, das wusste sie, würde sie ihm wieder begegnen.
    Antonio blickte sich überrascht um, als sie über den Gang, der den zum Meer hin gelegenen Teil des Gebäudes durchmaß, auf einen riesigen Innenhof gelangten. Er hatte nicht gewusst, dass es hier einen so großen umbauten Platz gab, und schon gar nicht, dass dieser derartig prachtvoll gestaltet war. Ein wenig eingeschüchtert schaute er zu einem gewaltigen Triumphbogen auf, der von marmornen Statuen gekrönt war. Gegenüber befand sich der von Arkaden verzierte Innenflügel des Gebäudes, zu dessen erstem Stock eine Freitreppe von enormen Ausmaßen hinaufführte. Die Kiste auf seiner Schulter schien auf einmal das Doppelte zu wiegen.
    »Bist du das erste Mal im Palazzo Ducale?«, fragte Mosè, der zwei Schritte hinter ihm ging.
    »Nein, ich war schon oft hier.« Antonio gab sich lässig, doch beim Anblick der edel gewandeten Amtsträger, die oben auf der Empore zu sehen waren, fragte er sich insgeheim, ob wohl jemand hier daran Anstoß nehmen würde, dass der Fisch in der Innentasche seines Wamses ziemlich durchdringend roch. Die Vornehmheit der Umgebung rief ihm zwangsläufig in Erinnerung, dass er hier auf der falschen Seite der Stadt war. Das sollte nicht heißen, dass nicht jede Menge Leute aus seinen eigenen Kreisen hierher kamen, im Gegenteil. Sie betraten das Gebäude in Scharen – allerdings meist auf dem Weg zu einem der Kerker, die sich im Untergeschoss des Dogenpalastes befanden, oder sogar zu dem berüchtigten Verhörzimmer, wo sie den Qualen des Strappado unterzogen wurden. Antonio kannte mehr als einen der Unglücklichen, deren Schulter- und Ellbogengelenke durch das Folterseil verkrüppelt worden waren. Einige Übeltäter waren nie zurückgekehrt, weil sie zwischen den roten Marmorsäulen ihr Leben verloren hatten. Andere waren zwar zurückgekehrt, aber ohne ihre rechte Hand oder mit dem Brandzeichen der Diebe und Hehler.
    Die Narbe an seiner rechten Wange begann zu jucken, als würde sich seine

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