Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Häuser aussuchen können.«
»Auch das sollte möglich sein.«
»Und es muss gestattet werden, den gelben Hut bei Gefahr abnehmen zu dürfen.«
»Ich weiß nicht, ob ...«
»Sonst vergessen wir das ganze Geschäft.«
»Ich werde mein Bestes versuchen«, sagte der Zehnerrat. »Aber macht Euch auf ein paar Monate Wartezeit gefasst.« Wieder lächelte er, und Antonio hatte den deutlichen Eindruck, als ob ihm das Schachern mit dem Juden Spaß machte.
Er selbst fühlte ebenfalls eine eigentümliche Aufregung, während er das Gespräch verfolgte, den vehementen Abtausch von Argumenten und Einwänden, ein ständiger Wechsel zwischen Vorstößen und Rückzügen.
Im Verlaufe der weiteren Verhandlung der beiden ging es um Zinssätze und Pfandarten, Kredite, Schuldscheine und Buchungen. Davon verstand Antonio kaum etwas, aber immerhin hatte er begriffen, dass die Stadt den Juden wieder erlauben sollte, in Venedig zu wohnen und Handel zu treiben. Und der jüdische Kaufmann und der Zehnerrat waren im Begriff, die näheren Bedingungen für die Condótta auszuhandeln, die zeitlich begrenzte Erlaubnis des Aufenthalts.
Der Jude Mosè hatte vorhin die Wahrheit gesagt. Für ihn ging es um mehr als um große Geschäfte. Er wollte zurück nach Hause.
Er blieb bis zum Einbruch der Dunkelheit in dem Boot liegen, und seine Angst, entdeckt zu werden, ließ im Laufe der Stunden nicht einen Moment lang nach. Jeder Schritt und jede Stimme, die er über seinem Kopf auf den Steinen der Uferbefestigung oder auf den hölzernen, ins Wasser gebauten Stegen rechts und links neben sich hörte, brachten ihn dem Tod ein Stück näher. Zwischendurch sagte er sich, dass es ihm gleich wäre und dass sie ihn ruhig aufspüren sollten. Er würde kämpfend sterben, wie sein Vater, und bevor er sein Ende fand, würde er seinen Triumph über die Mörder in die Nacht hinausschreien. Er würde vor ihren Augen mit beiden Beinen hoch in die Luft springen und ihnen beweisen, dass er ein Mann sein konnte.
Er war noch kein Krieger; die Menschenräuber waren während der Vorbereitungen für das Große Ritual in das Dorf der Jungen eingefallen. Hätten sie ihn nicht gefangen, wäre er jetzt ein Mann und ein Führer. Die Gruppe hatte ihn bereits erwählt. Vielleicht hätte er schon einen Löwen getötet, dem Gott Ngai zu Ehren, und für den Stamm viele Rinder heimgebracht.
Hier in der goldenen fremden Stadt, die auf wundersame Art aus Stein und Wasser zusammengefügt war, hatte er bei der Landung ebenfalls einen Löwen gesehen, ein täuschend echtes Ungetüm aus Metall. Er thronte auf einer hohen Säule, mit ausgebreiteten Schwingen, als wollte er davonfliegen. Ob in diesem Land Löwen lebten, die fliegen konnten wie Vögel? Hier schien alles möglich zu sein, geschaffen durch die Macht des Bösen.
Trauer und Entsetzen über den Tod seines Vaters hielten ihn mit solcher Macht gefangen, dass er sich fühlte wie das Opfer eines echten Löwen. Klauen rissen ihm das Herz heraus, scharfe Zähne wühlten in seinem Inneren. Der Schmerz über das ihm zugefügte Leid schien ihn von oben bis unten zu spalten. Es war, als wolle sein Geist sich von seinem Körper lösen, um der Pein zu entfliehen, ähnlich wie in der Nacht, als der Sklavenjäger ihn das erste Mal gewaltsam für seine Lust benutzt hatte.
Er merkte, dass er angefangen hatte zu wimmern und sich hin und her zu wiegen, als wäre er noch klein und im Arm seiner Mutter. Mit äußerster Willensanstrengung riss er sich zusammen. Er ignorierte den körperlichen Schmerz und die Wunden in seinem Inneren, und er lag wieder still, so wie die ganze Zeit vorher.
Seine Mutter war tot, ebenso zwei seiner Brüder, und nun auch sein Vater, den die Sklavenjäger auf dem Rückweg gefangen hatten, zusammen mit den Frauen und Kindern, die noch übrig waren und nun verkauft werden würden. Aber sie hatten gewollt, dass er floh, vor allem sein Vater, sonst hätte er ihm nicht die Fesseln durchgeschnitten und dafür mit seinem Leben bezahlt.
Er hatte seinen Vater nicht sterben sehen, aber er hatte die Klageschreie der Frauen und Kinder gehört, in deren Mitte er sich geflüchtet hatte. Gleich darauf hatte er sich hinter ein Fass gehockt und dann hinter eine Rolle Taue, und anschließend war er mit wenigen Schritten hinter der gaffenden Menge und beim Wasser gewesen, hatte sich in ein Boot gleiten lassen und fischig stinkende Netze über sich gezogen.
Zwei Menschen hatten ihn ganz sicher dabei beobachtet, ein kleines Kind, das
Weitere Kostenlose Bücher