Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
ihr zusammenballte, bis ihr ganzes Inneres gegen das, was hier geschah, rebellieren wollte.
Die anderen Sklaven, Frauen und kleinere Kinder, waren ungefesselt, bis auf einen Mann, der mit gesenktem Kopf ein paar Schritte abseits der Gruppe stand, die einer der anderen Aufseher vor einem hölzernen Stand zusammengetrieben hatte.
Der Mann war so schwarz wie der Junge, aber von unglaublicher Körperlänge und dabei so dünn, wie Laura es in diesem Verhältnis von Größe und Schlankheit bisher an einem Mann noch nie gesehen hatte. Er hatte außergewöhnlich lange Arme und Beine, und sein Kopf war wie bei dem Jungen schmal geformt, sein Hals lang und sehnig. Seine Kleidung bestand aus einem zerrissenen Hemd von undefinierbarer Farbe und einem Lendentuch, von dem einzelne Fetzen bis zu seinen Knien herabhingen.
Auch die vier Frauen waren dünn und hochgewachsen, wenn auch nicht so groß wie der Mann, und alle trugen sie das Haar geschoren und hatten in den Ohren seltsamen, bunt bemalten Schmuck, der bis auf ihre Schultern baumelte. Ihre Körper waren in Tücher gewickelt, die ebenso schmutzig und fleckig waren wie das Hemd des Mannes. Die sechs Kinder, die sich mit weit aufgerissenen Augen um die Frauen drängten, trugen Lendentücher wie der Junge.
Ein bedeutsames Detail unterschied indessen den Mann von den anderen: Man hatte ihn in Eisen gelegt, wobei die Ketten, die um seine Handgelenke geschlungen waren, mit denen an seinen Fußknöcheln verbunden waren.
Als er vorhin an Land gegangen war, hatte er sich ähnlich unbeholfen bewegt wie der Junge, und auch er war mit dem Stock geschlagen worden. Allerdings hatte er dabei weder eine Miene verzogen noch einen Laut von sich gegeben, was Laura zu der Überlegung gebracht hatte, ob es womöglich stimmte, dass schwarze Menschen keine Schmerzen empfinden konnten. Monna Pippa hatte das erzählt, und obwohl die Nachbarin regelmäßig mehr Blödsinn daherplapperte, als ein Mensch allein sich ausdenken konnte, hatte Laura keinen Grund gesehen, ihr gerade in dem Punkt nicht zu glauben.
Bis sie vorhin den Jungen gesehen hatte. Er hatte Schmerzen, und er weinte deswegen, und seine Furcht war so stark, dass Laura fast meinte, sie mit Händen greifen zu können.
Der erwachsene Sklave blickte unter gesenkten Lidern hervor und betrachtete die Umstehenden. Als seine Blicke auf den Jungen fielen, versteifte er sich merklich. Danach blieb er ruhig stehen, doch die Hände, die vor seinem Körper gefesselt waren, zitterten so stark, dass seine Ketten klirrten.
Laura fühlte sich bei dem Geräusch von einer seltsamen Unruhe erfüllt, und als ihr Vater sie fortzog, wehrte sie sich nicht.
»Nun reicht es«, meinte er. »Das war mehr als genug.«
»Der Junge hat geweint«, antwortete sie, während sie sich von ihrem Vater zwischen Gruppen von Passanten und Schaulustigen hindurch in Richtung Ponte della Paglia ziehen ließ.
»Natürlich hat er geweint«, meinte ihr Vater nachsichtig. »Er wurde geschlagen.«
»Die anderen waren still, sie haben keinen Laut von sich gegeben, nicht einmal die Kinder, als der Portugiese sie geschubst hat. Nur der Junge hat geweint.«
»Du würdest auch weinen, wenn man dich so schlagen würde.«
»Aber Monna Pippa hat zu mir gesagt, dass Schwarze keine Schmerzen haben. Sie sagte sogar, dass Schwarze keine richtigen Menschen sind, sondern eine Art Affen.« Laura hatte das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen. Ihre Wut war unvermindert groß, und ihr war ein wenig übel von dem Erlebten. Außerdem schämte sie sich, weil sie eher mit Faszination als mit Widerwillen zugeschaut hatte, als der Aufseher den großen Sklaven mit harten Stockhieben an Land getrieben hatte. Sieh an, hatte sie gedacht, es stimmt tatsächlich, es tut ihm gar nicht weh!
Erst als gleich darauf der weinende Junge folgte, hatte sie begriffen, wie sehr sie sich geirrt hatte.
»Monna Pippa redet nichts als Unfug«, sagte ihr Vater. »Am besten lässt du es zum einen Ohr herein und zum anderen wieder hinaus.«
Auf der Brücke standen ebenfalls Menschen, um die bogenförmig erhöhte Konstruktion für eine bessere Aussicht zu nutzen. Sklaventransporte kamen nicht alle Tage an, weil die zuständigen Behörden des Rates dafür Sorge trugen, dass die meisten Versteigerungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vonstattengingen. Lauras Vater hatte ihr erklärt, dass viele Nobili es schätzten, Sklaven zu kaufen, aber sie legten keinen Wert darauf, bei solchen Geschäften angegafft zu
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