Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
vielleicht sogar ein paar Jahre älter, denn sein Haar war trotz der sorgsam gedrehten Strähnen, die ihm seitlich von den Schläfen bis auf die Schulter baumelten, grau und schütter. Sein rundliches Gesicht dagegen schien seltsam alterslos, mit rosigen Wangen, leuchtenden dunklen Augen und einem Mund, der beständig zu einem Lächeln verzogen schien. Zwischen seinen beiden oberen Vorderzähnen klaffte eine beachtliche Lücke, was ihm ein ebenso lustiges wie argloses Aussehen verlieh, weitab von jeglicher Tücke oder Raffinesse, ganz so, als könne er kein Wässerchen trüben. Genau das verhalf ihm vermutlich zu erfolgreichen Handelsabschlüssen.
Antonio verdrängte die rothaarige Göre aus seinen Gedanken und überlegte, welche Geschäfte der Jude wohl mit dem Zehnerrat zu bereden hatte. Querini war ein hohes Tier, folglich musste es um mehr gehen als kleine Krämerbelange. Was Antonio prompt zu der Frage zurückbrachte, was in der Kiste war ... Er rüttelte sie noch einmal vorsichtig hin und her, um dem Geräusch nachhorchen zu können.
»Nur Musterstücke«, sagte der Kaufmann hinter ihm. Anscheinend hatte er Antonios Gedanken gelesen. »Nicht so viel wert, dass du deswegen leichtfertig werden solltest.«
Querini war vor ihnen am Südeingang des Dogenpalastes stehen geblieben und unterhielt sich mit einer Gruppe von Amtsträgern, und Mosè, der offenbar ganz und gar nicht von Antonios Kooperationsbereitschaft überzeugt war, legte seinem neuen Gehilfen abermals unnachgiebig die Hand auf die freie Schulter.
»Wir gehen jetzt zusammen mit dem Zehnerrat in sein Amtszimmer. Dort werde ich ihm den Inhalt meiner Kiste zeigen und Geschäfte mit ihm besprechen, und du wirst die ganze Zeit brav im Hintergrund warten. Ich brauche dich später noch. Versuchst du zu fliehen, hetze ich die Garde auf dich. Haben wir uns verstanden?«
»Warum braucht Ihr mich?«
»Weil du gerade verfügbar bist«, sagte der Kaufmann gelassen. »Vielleicht habe ich Feinde, und du siehst ganz so aus, als würdest du jeden Dolch und jeden Hinterhalt in diesem Sestiere sehr gut kennen.«
»Ist Eure Ware so wertvoll?«
»Sei nicht so naseweis.« Der Kaufmann schien sich zu besinnen und schüttelte müde den Kopf. »Es sind wirklich nur Musterstücke. Aber manch einer könnte sich etwas anderes einbilden, wenn er mich mit dem Zehnerrat zusammen sieht. Messèr Querini ist dafür bekannt, dass er große Geschäfte macht.«
»Geht es hier darum? Um große Geschäfte?«
»Es geht um viel mehr, als du dir vorstellen kannst. Um sehr viel mehr.«
»Das klingt, als ginge es um Euer Leben.«
»Bei Licht betrachtet könnte es darauf hinauslaufen.«
»Der Bursche, mit dem Ihr vorhin auf der Riva gestritten habt und der dann wütend weggerannt ist – war das Euer Sohn?«
»Sah er vielleicht aus wie ein Jude?«, fragte Mosè in ablehnendem Tonfall. »Trug er den gelben Hut?«
»Nein, aber ansonsten glich er Euch aufs Haar, er war nur kleiner, dünner und jünger. Er ist ein Marrane , nicht wahr? Einer von den Juden, die sich haben taufen lassen, damit die Serenissima sie nicht hinauswirft wie alle anderen.«
Ein Ausdruck von Resignation breitete sich auf den Zügen des Kaufmanns aus. »Du hast ein scharfes Auge, Anzio. Wenn du wirklich so heißt.«
»Was zahlt Ihr mir dafür, wenn ich nachher mitgehe und Euch beschütze?«
Mosè lachte. »Du und mich beschützen? Ein magerer kleiner Taschendieb, der höchstens zehn Jahre alt ist?«
»Zwölf«, trumpfte Antonio auf. »Und ich kenne jedes Messer und jeden Hinterhalt in der Stadt. Also: Wie viel?«
Mosè musterte ihn. »Drei Bagattini .«
Antonio prustete. »Ihr seid verrückt. Dafür lasse ich nicht mal einen Furz entweichen, und glaubt mir, darin bin ich gut! Einen Mocenigo .«
Der Kaufmann kniff die Augen zusammen. »Ein Marcello .«
Antonio reckte das Kinn vor. »Drei, und das ist mein letztes Wort.«
»Zwei, aber dann begleitest du mich bis zu meiner Abfahrt heute Abend. Ich habe noch Geschäfte am Rialto.«
Antonio tat so, als müsse er überlegen. »Gemacht«, sagte er schließlich herablassend. Mit einem Mal war der Fisch in seiner Tasche, den er Cecilia mitbringen wollte, vergessen. Er würde später – diesmal von ehrlich verdientem Geld – noch eine Orange dazukaufen, und über diesen seltenen Genuss würde sie sich freuen.
Im Augenblick gab es jedoch nur eines, was ihn mehr als alles andere interessierte. Er wollte wissen, was in dieser Kiste war.
Laura hielt die Hand
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