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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Clarke
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unerbittlich. Finn verlagerte sein Gewicht auf die Seite, um etwas Hartem auszuweichen, das sich in seine Schulter grub.
    Mia schlief schon. Finn lauschte dem leisen Murmeln ihres Atems und den Grillen, die draußen zirpten. Er liebte es, zu zelten, weil das Leben so viel langsamer verlief. Schon die Vorbereitung einer schlichten Mahlzeit dauerte länger als gewöhnlich, Betten mussten aufgebaut und wieder abgebaut werden, eine Dusche und frische Kleider waren Luxus und keine Routine. Er nahm sich viel mehr Zeit für einen Ort, für seine Klänge, Gerüche, seinen Rhythmus, und er achtete auch viel mehr auf sich selbst.
    Mia bewegte sich im Schlaf, ihre Hand kam unter ihrem Bauch hervor und legte sich auf seinen Unterarm. Er spürte die Hitze ihrer Haut. Er hätte seinen Arm wegziehen können, doch er rührte sich nicht. Seine Gedanken fühlten sich im Dunkeln sicher, und darum konnten sie ungehindert zu einem Sommerabend vor vielen Jahren wandern.
    Finn und Mia waren mit sechzehn Jahren bei dem Konzert einer amerikanischen Punkband gewesen, Thaw , für das sie monatelang gekämpft hatten. Mia hatte ausgebleichte, zerrissene Jeans getragen, die aus einem Secondhandshop namens Hobos stammten. Sie hatte kräftigen, silbernen Eyeliner bis über die Augenwinkel hinaus aufgetragen und etwas Schimmerndes auf ihre Wangenknochen gepudert. Sie wirkte älter als das ungeschminkte Mädchen, dem er noch am gleichen Tag geholfen hatte, eine Makrele einzuholen, und die Verwandlung war ebenso verstörend wie betörend.
    Die Band gab alles. Finn und Mia waren außer sich, im Saal pulsierte reine Energie, der Moshpit war ein Hexenkessel, und mit jedem neuen Song tobte die Menge heftiger. Mia war in ihrem Element, sie tanzte wild, die Arme in die Luft gestreckt. Plötzlich wandte sie sich um und rief einem stämmigen Mann mit dickem Hals etwas zu. Der Mann legte die Hände zusammen, und bevor Finn überhaupt begriff, was vorging, stellte Mia einen Fuß hinein und wurde in die Höhe gehoben. Sie beugte sich nach hinten, die Arme wie Flügel ausgestreckt, und wurde von einem Meer von Händen aufgefangen. Sie surfte über die Menge.
    Das schwarze Beastie-Boys-T-Shirt – sie teilte es sich mit Finn, sie hatten sich nur eines leisten können – wanderte an ihrer Taille aufwärts und entblößte ihren weichen, schlanken Bauch. Die Beleuchter richteten ihren Spot über die Heerscharen von Männern hinweg auf dieses ätherische Mädchen mit seinem dunkel wogenden Haar und verfolgten, wie es über die Menge trieb. Einige Typen, die heftig schwitzten und die Fäuste in die Luft reckten, pfiffen und buhten Mia aus. In Finn spannte sich jeder Muskel an, am liebsten hätte er sich einen Weg durch die Menge geprügelt und ihnen das Maul gestopft.
    Die Menge zuckte und bebte unter einem blau-weißen Lasergewitter. Finn hatte Mühe, Mia im Auge zu behalten. Er beugte sich zu einem schlaksigen Mann vor und sah gerade noch, wie die Rausschmeißer Mia über die Sicherheitsbarriere zogen. Es war ihm ein Rätsel, wie sie ihn in der Menge jemals wiederfinden sollte, doch nach vier weiteren wütenden Songs stand sie plötzlich vor ihm. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Stirn glänzte.
    Â»Mia!«
    Als die Band zum letzten Stück ansetzte, schob sich die Menge nach vorn und drängte Mia gegen ihn. Instinktiv fasste er an ihre Taille, aus Angst, sie könnte fallen und niedergetrampelt werden. Hitze strömte durch ihr feuchtes T-Shirt, und dann legte Mia, von den Nebelschwaden und der kreischenden Menge unbeeindruckt, die Hände an sein Gesicht und küsste ihn flüchtig auf die Lippen.
    Die Menge wogte nach hinten, Mia entglitt seinen Händen. Sie wandte sich wieder zur Bühne und pogte weiter. Finn stand wie angewurzelt an seinem Platz, während Tausende von Menschen weitertanzten.
    In jeder Biografie finden sich Schlüsselerlebnisse – Momente, die die Achse des Lebens verschieben, in denen eine scheinbar unverfängliche Handlung den Lauf des Schicksals ändert. Für Finn war es dieser Kuss. Mia, das Mädchen, mit dem er ständig zusammensteckte, wurde plötzlich zu einem Rätsel. Als sie sich am nächsten Tag in der Schule wiedersahen, war jedes alltägliche Miteinander – er hielt ein Reagenzglas, während Mia Magnesiumnitrat hineingab, sie saßen auf der Bank unter der Platane und

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