Die Landkarte der Liebe
vorstehenden Bauchnabel und die spröden Haare, die um seine Brustwarzen herum wuchsen, schon hundertmal gesehen.
»Tolle Londonbräune«, kommentierte sie seine schneeweiÃe Brust, als er das T-Shirt auszog.
»Tolle Partybräune.«
Sie lachte. Finn nutzte die Gelegenheit, an ihr vorbei in die schäumende Gischt zu sprinten, bis ihm das Meer die Beine wegzog. Er stolperte vorwärts, richtete sich auf, streckte die Arme aus und warf sich mit einem lauten Platschen auf das Wasser. Silberne Tropfen spritzten hoch.
Mia lachte immer noch, als sie hinter ihm her watete. Das kalte Wasser legte sich wie ein Schraubstock um ihre Knöchel, dann griff es nach ihren Knien. Eine kleine Verletzung vom Rasieren brannte. Ãber ihr krächzte eine Möwe. Mia sah nach oben, schaute zu, wie sie im Wind trieb. Plötzlich fiel der Untergrund steiler ab, und das Wasser stieg ihr bis zur Taille. Mia zog den Bauch ein. Dann schnappte sie rasch nach Luft und tauchte unter.
Als sie wieder an die Oberfläche kam, hatte sich das Haar wie Ãl um ihren Kopf gegossen. Sie stieà sich mit den Beinen ab und schwamm mit sicheren, geschmeidigen Zügen los.
»Schwimm nicht so weit«, rief Finn ihr hinterher. »Ich spiel nur Baywatch -Retter, wenn ich rote Hosen trage!«
Neben ihr hoben und senkten sich die Wellen. Eine Woge erfasste sie von hinten und legte sich wie eine Decke über ihren Kopf. Mia rieb sich das Wasser aus den Augen und begann zu kraulen, spürte, wie ihre Muskeln sie vorwärtstrugen. Bei jedem zweiten Zug hob sie den Kopf, um Luft zu holen, und nahm die Sonne auf ihrem Gesicht wahr.
Als ihre Beine vor Anstrengung und Kälte steif wurden, drosselte sie das Tempo und schwamm parallel zum Ufer. Nun sah sie die Klippen aus einer anderen Perspektive. Es war eine beeindruckende Küste â dramatisch, einsam, von See und Wetter angenagt. Die Weite war berauschend, Mia spürte die Erleichterung, aus London fort zu sein, im ganzen Körper. In der Stadt konnte sie nicht richtig atmen. Hier aber, fern von London, fern der Erinnerung an die Frau, die sie dort geworden war, fühlte sich Mia zum ersten Mal seit Langem wohl.
Abends saÃen sie auf einer Picknickbank, Metallbecher voll heiÃer Schokolade vor sich. In der Ferne brachen Wellen, es war ein sanftes Rumpeln, beinah, als würde weit drauÃen ein Lastwagen vorüberfahren. Mia zog einen silbernen Flachmann aus ihrer GesäÃtasche und schraubte ihn auf. »Whisky?«
Finn schob seinen Becher in ihre Richtung. »Kompliment fürs Abendessen.«
Sie hatten früher schon so oft gezeltet, dass sie die Kunst der »Ein-Topf-Gerichte« meisterhaft beherrschten. Mia hatte an diesem Abend Nudeln mit dicken Salamischeiben aufgetischt â gekocht mit Erbsen, Champignonstreifen, Cherrytomaten und einer Prise Gewürzmischung.
»Im Freien schmeckt es immer besser«, sagte sie und goss einen Schluck Whisky in die Becher. »Ist lange her, dass wir gezeltet haben.«
»Ein Park in London ist eben nicht dasselbe.«
»Wohl wahr.« Sie lächelte. »Aber â im Ernst â bist du in London glücklich?« Finn war nach dem Studium in die Stadt gezogen. Er hatte eine Wohnung über einer Metzgerei ergattert. An der Rückseite verlief eine Bahnlinie. Jedes Mal, wenn ein Zug vorüberfuhr, tropfte Wasser aus dem Küchenhahn.
»Ja, bin ich. War ich. Hat mir gutgetan, nach Cornwall.«
»Sag bloÃ, der Freitagabend bei SJâs war dir nicht wild genug?«
»O doch. Ich liebe Leopardenshirts an mittelalten Frauen.« Er grinste. Dann wurde er ernst. »Aber für dich war London nichts, oder?«
»Ich glaub nicht.« Sie hatte sich schmerzlich nach dem Meer gesehnt, und in ihren Träumen hatte sie Strände und einen weiten Horizont gesehen.
»Wolltest du deshalb weg?«
Sie zog sich die Ãrmel ihres Pullovers über die Hände und legte sie wärmesuchend um die Tasse. »Ich musste mal raus.«
»Das war auch ein hartes Jahr. Du hast dir eine Auszeit echt verdient.«
Hab ich das? Katie, und nicht sie, hatte ihrer Mutter während der Krankheit stoisch zur Seite gestanden. Mia hatte die Augen vor den Messbechern voller Medikamente verschlossen, vor den Haarbüscheln in dem Duscheinsatz und den fremden hageren Wangen ihrer Mutter â weil es so viel leichter war. Alles war leichter, als mitanzusehen, wie ihre
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