Die Landkarte der Liebe
aÃen gemeinsam ein Schinkensandwich, sie teilten sich auf der Rückfahrt im Bus die Ohrhörer â mit einem neuen Begehren aufgeladen. Finn kam es so vor, als ob er über Nacht aus seinem alten Körper herausgetreten und in einem anderen aufgewacht wäre. Die Veränderung verstörte ihn so sehr, dass er die letzten beiden Tage des Schuljahrs schwänzte. Er brauchte Zeit zum Nachdenken.
Als die Ferien begannen, radelte Mia zu ihm, samt Zelt, Schlafsack und einer Flasche Wodka, die Katie nach zähem Ringen für sie gekauft hatte, und erklärte, dass sie im Wald bei den Klippen zelten würden. Da ihm keine gute Ausrede einfiel, schnappte er sich seinen Schlafsack und folgte ihr.
Ein plötzlicher Regenschauer trieb sie noch vor Einbruch der Dunkelheit in ihr Zelt. Sie spielten Karten und tranken Wodka, Finn schaute verstohlen zu Mia und fragte sich, wieso ihm niemals zuvor aufgefallen war, dass ihre Augen das tiefe Grün von Smaragden hatten. Als der Regen nachlieÃ, öffneten sie das Zelt auf einen dunklen, feuchten Wald, der satt und erdig roch. Sie traten hinaus in die dampfende Heide, ihre Jeans wurden am Saum durchweicht, sie fühlten sich betrunken und beschwingt. Der Mond, eine perfekte Silberscheibe, sah so unglaublich aus, dass Finn spontan wie ein Wolf heulte. Mia kicherte, dann heulte auch sie.
In den zweiundsiebzig Stunden seit Mias Kuss hatte sich Finn unentwegt gefragt, was für ein Gefühl es wäre, ihren Kuss zu erwidern. Mit einem richtigen Kuss. »Mia«, begann er, als er auf unsicheren FüÃen vor ihr her ging. Sie sah ihn, immer noch grinsend, an. Sie trug kein Make-up, und ihre Haut leuchtete im Mondschein. »Gott, bist du schön!«, sagte er plötzlich. Dann legte er eine Hand an ihre Wange und beugte sich vor.
Augenblicke nur, bevor seine Lippen ihren Mund erreichten, wich Mia zurück.
»Finn!« Sie lachte und schlug ihm gegen die Brust. »Ich dachte gerade schon, das wär dir ernst! Mach mir keine Angst!«
Finn hatte sich vorgebeugt und so getan, als würde er mitÂlachen, aber ihre Reaktion war ein Schlag in die Magengrube gewesen.
Er hatte sie danach drei Wochen lang nicht gesehen, weil er mit seiner Familie nach Nordfrankreich in Urlaub gefahren war. Während dieser Ferien verlor er seine Unschuld bei der siebzehnjährigen Ambré, die auf dem Campingplatz als Putzhilfe arbeitete. Sie hatte einen rosa Büstenhalter und kein Höschen unter ihrer Uniform getragen und Finn jeden Nachmittag zu ihrer Pause um drei Uhr in ihrem Wohnwagen erwartet. Obwohl ihn diese Regelung begeisterte, offenbarte sie ihm aber auch allmählich, wie tief seine Gefühle für Mia waren. Er sehnte sich nicht nur danach, sie so zu berühren oder zu küssen, wie er es mit Ambré tat, er vermisste auch die kleinen Dinge: ihr Lachen, die Art, wie sie auf dem Daumennagel herumkaute, wenn sie sich konzentrierte, oder die Entschiedenheit, mit der sie erklärte: »Das mach ich nicht.« Ihm fehlte Mia als Freundin â und er war nicht bereit, das noch einmal aufs Spiel zu setzen.
Als er wieder nach Hause kam, kehrten er und Mia zum Alltag zurück, und der Abend im Wald wurde nie mehr erwähnt. Ein Reigen anderer Mädchen, und später Frauen, linderte sein Begehren, und er war froh, dass seine Freundschaft mit Mia ihren gewohnten Gang ging. Doch heute, als sie sich am Strand bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte, war eine leise Sehnsucht angeklungen, die seither in ihm schlummerte.
Er kannte das Risiko. Er musste diesen verbotenen Ton gleich wieder unterdrücken. Und darum zog Finn vorsichtig seinen Arm unter Mias Hand hervor und drehte sich, wenn auch widerstrebend, zur Seite.
Kapitel 5
Katie
Kalifornien, März
Katie zog die weiÃliche Blende vor das Flugzeugfenster. Sie musste nicht unbedingt sehen, dass sie sich über den Wolken befanden, das Meer dreiÃigtausend Fuà unter ihr lag und lediglich durch die weiÃen Flügel der Boeing 747 in der Luft gehalten wurden.
Als Katie zum ersten Mal geflogen war, hatte sie sich so fest an die Armlehnen geklammert, dass ihre Knöchel weià hervorgetreten waren. Mia hatte mit groÃen Augen neben ihr gesessen, die Pupillen stark erweitert. Katie hatte das für ein Zeichen von Angst gehalten. Doch dann hatte sie das Lächeln gesehen, das über Mias Gesicht gezogen war. Sie konnte damals nicht verstehen, wieso Mia vor Ehrfurcht
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