Die Landkarte der Liebe
nach dem Kellner um, in der Hoffnung, dass ihr Essen bald gebracht würde.
»Also, verraten Sie mir â¦Â« Er machte eine fordernde Geste mit der Hand.
»Katie.«
»Also, verraten Sie mir, Katie , was wollân Sie mit dem Tagebuch von Ihrer Schwester?«
Katie zuckte zusammen. Dass er so beiläufig über Mias Tagebuch sprach, gefiel ihr gar nicht. Am liebsten hätte sie es zugeschlagen und diesen allzu selbstbewussten Clown verjagt. »Das ist meine Sache.«
»Das hat Ihre Schwester sicher auch gedacht, als sie da was reingeschrieben hat!« Er lachte, hob sein Glas und nahm einen groÃen Schluck.
»Tut mir leid, aber Sie sollten besser gehen.«
Er sah so beleidigt aus, als wäre das Gespräch in seinen Augen bisher verheiÃungsvoll verlaufen. »Ernsthaft?«
»Ernsthaft. Ja.«
Als er aufstand, stieà er mit dem Knie gegen den Tisch. Katies Weinglas schwankte, doch sie bekam es gerade noch zu fassen. Nicht jedoch das Bierglas. Schon ergoss sich die goldfarbene Flüssigkeit mit den weiÃen Bläschen über das Tagebuch. Entsetzt griff Katie nach der Serviette und betupfte das Papier, doch es nützte nichts. Die Seiten wellten und verfärbten sich. Starr vor Entsetzen sah sie zu, wie die präzise, saubere Schrift verschwamm. Mias Eintrag war verloren.
»Sie Idiot!«
Am Nachbartisch drehten sich zwei Frauen um.
Der Mann hob die Hände. »Hey, langsam, junge Frau. Ich wollte bloà nett sein.« Er schob den Stuhl ruckartig zurück an seinen Platz. »Tja, das Spiel ist wohl aus«, sagte er gehässig, mit Blick auf das durchnässte Tagebuch.
»Fick dich.« Die unflätigen Worte schmeckten scharf und köstlich.
Katies Verehrer marschierte kopfschüttelnd zurück an seinen Tisch.
Katie biss sich auf die Lippe und versuchte verzweifelt, die Fassung zu bewahren, doch die Tränen brannten schon in ihren Augen. Sie griff nach dem besudelten Tagebuch und schnappte sich Handtasche und Jacke.
Als der Kellner das Essen für eine Person servierte, war Katie bereits an der Tür. Sie hatte ihr Zuhause, ihren Job, ihren Verlobten und ihre Freunde verlassen, weil sie unbedingt verstehen wollte, was geschehen war. Doch als sie auf die StraÃe stürmte und feuchte Luft sie wie ein kalter Hauch umfing, fragte sie sich, ob es nicht ein groÃer Fehler war. Es tut mir leid, Mia, aber ich glaube, ich kann das nicht.
Kapitel 6
Mia
Maui, Oktober, ein Jahr zuvor
Finn stellte einen Fuà auf den Radlauf ihres Mietwagens und schnürte sich im Dunkeln seinen Wanderschuh. Um vier Uhr morgens hatte sein Wecker geklingelt, dann war Finn mit Mia über gewundene StraÃen und Haarnadelkurven zum höchsten Punkt von Maui gefahren, zum Gipfel des Haleakala, um den Sonnenaufgang zu erleben. Auf dem rund dreitausend Meter hohen Vulkan war es bitterkalt, obwohl es dort um die Mittagszeit angeblich glühend heià wurde und es kaum schattige Rastplätze gab.
»Wie viel Wasser hast du dabei?«, fragte Mia mit belegter Stimme. Sie war im Auto kurz eingeschlummert.
»Genug für uns beide.« Er schloss den ReiÃverschluss seiner Jacke, nahm seinen Beutel und verriegelte das Auto.
Sie stiegen im Schein von Stirnlampen in den Krater. Finn ging voran, er suchte einen Weg mit festem Untergrund. Nachtwanderungen waren gefährlich, weil man das Terrain nicht wirklich überblicken konnte, aber der Pfad erwies sich als eben und führte gleichmäÃig bergab. Sie sprachen kein Wort. Das einzige Geräusch waren ihre Schritte auf der Asche, die wie Schnee knirschte.
Der Morgen dämmerte noch nicht, die Luft war eisig kalt und trocken. Finn hatte das Gefühl, man hätte ihm die Wangen strammgezogen. Er drehte sich nach hinten, um zu schauen, ob Mia ihm folgte. Der Strahl seiner Lampe traf auf ihr Gesicht. Sie hatte das Haar zu einem losen Knoten zusammengebunden und trug eine schwarze Fleecejacke, die sie bis zum Kinn zugezogen hatte. Ihre Miene war entschlossen.
»Alles okay?«
»Alles okay.«
Allmählich verfärbte sich der schwarze Himmel zu einem tiefen Violett. Die ersten Lavaberge und Aschekegel erhoben sich aus der Nacht. Mia war trainiert und kräftig und hatte einen schnellen Schritt. Sie wanderte gern, weil man dabei, wie sie einmal zu Finn gesagt hatte, auf so ursprüngliche Weise und noch dazu unter freiem Himmel von einem Ort zum andern kam. Seit sie auf Maui waren,
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