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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Clarke
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denn sie sprach nur ungern über den Mann, der kaum etwas zum Leben seiner Töchter beigetragen hatte. Auf Mias Drängen hin hatte sie ihn einmal als charismatisch beschrieben, als gewieften Geschäftsmann, aber sofort hinzugefügt, dass er auch vollkommen selbstsüchtig und ein verantwortungsloser Vater gewesen sei.
    Die zweite Frage, die Mia umkringelt hatte, war schon komplizierter. Bereits als Kind hatte sie gespürt, wie verschieden sie und Katie waren. Alle Lehrer hatten Katies Fleiß gelobt, ihre Beliebtheit bei den Klassenkameraden betont, bei Mia aber hatten sie nur über störendes Verhalten und Unaufmerksamkeit im Unterricht geklagt, und bei den Hausaufgaben sah es auch nicht besser aus. Katie wurde zum Maßstab, an dem Mia gemessen wurde, und niemals umgekehrt.
    Doch die Vergleiche, die andere anstellten, waren nichts gegen die, die Katie und Mia selbst zogen. Mia hatte sich oft gefragt, ob ihr die Unterschiede deshalb so stark auffielen, weil ihr Geburtstag auf den gleichen Tag fiel – auf den elften Juni –, mit drei Jahren Abstand. Als Mias zwölfter und Katies fünfzehnter Geburtstag bevorstand, hatte sich Mia ein Barbecue am Strand gewünscht, Katie eine Party. Ihre Mutter wusste Rat: Die Lösung bestand in einer Strandparty.
    Katie hatte ein Dutzend Schulfreunde eingeladen, die Jungs waren gleich ins Wasser gestürmt, die Mädchen hatten lieber in der Abendsonne gebadet. Mias einziger Gast war Finn. Mit ihm war sie in der Nachbarbucht verschwunden. Sie hatten Wattwürmer gesucht, Fangen gespielt und dabei dicke Seile aus Seetang wie ein Lasso geschwungen. Erst der Geruch von Hamburgern hatte sie wieder zu den anderen gelockt, doch sie hatten sich bloß die Teller vollgeladen und sich dann abseits auf die Felsen gehockt und den kessen Möwen ab und zu ein Bröckchen zugeworfen.
    Von ihrem Platz aus hatte Mia beobachtet, wie sich Katie um die Gäste kümmerte. Sie hatte sich bei allen erkundigt, ob sie auch genug zu essen und zu trinken hätten und sich amüsieren würden. Die Mädchen strahlten, sobald Katie in ihre Nähe kam, und die Jungen verfolgten sie mit Blicken. Nur ein sehr zierliches Mädchen saß allein und deprimiert mit seinem weichen Pappteller am Strand. Es hatte nasse, kalte Hosenbeine, weil es von einer Welle überrascht worden war. Kaum hatte Katie das bemerkt, eilte sie zu dem Mädchen, legte eine Hand auf die feuchte Jeans und machte einen Scherz. Das Mädchen musste so sehr lachen, dass die klamme Hose vergessen war. Katie zog ihre Freundin hoch und ging mit ihr zu den anderen zurück.
    Mia war beeindruckt. Die meisten Fünfzehnjährigen waren unbeholfen und linkisch, doch Katie hatte ein intuitives Empfinden für andere. In ihrer Gegenwart fühlten sich die Menschen wohl. Sie stellte sich an den Grill zu ihrer Mutter, die gerade die letzten, angekokelten Würstchen auf einen Teller legte. Als Mia die beiden mit ihren blonden Köpfen dort stehen sah, den Blick aufs Meer gerichtet, war ihr plötzlich klar geworden, wie ähnlich sie sich waren. Es war weit mehr als eine äußerliche Ähnlichkeit, es war eine Ähnlichkeit, die in ihr Wesen eingeschrieben war. Beide waren sehr gesellig und konnten sich in andere einfühlen, sie konnten Gesten und Mienen auf eine Weise deuten, die Mia völlig fremd war.
    Das alles beschäftigte Mia sehr, doch warum, das verstand sie erst Jahre später, als die Krebserkrankung ihrer Mutter bereits das Endstadium erreicht hatte. Mia war zu ihrer Mutter gefahren – dem Besuchsplan nach zu urteilen, den Katie ihr gemailt hatte, mit drei Stunden Verspätung. Es hämmerte hinter ihren Schläfen, und sie roch nach Alkohol.
    Als sie durch die Haustür trat, kam Katie gerade die Treppe ­herunter, eine lederne Reisetasche in der Hand. »Mum schläft.«
    Â»Gut.«
    Auf der untersten Stufe blieb Katie stehen. Ihre Augen waren gerötet und verquollen. »Du bist drei Stunden zu spät.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Â»Eine Entschuldigung wäre nett.«
    Â»Wofür?«
    Katies Augen weiteten sich. »Dafür, dass du mich hier drei Stunden lang festgehalten hast. Ich hatte etwas vor.«
    Â»Dein Freund hat doch bestimmt Verständnis«, erwiderte Mia mit hochgezogenen Augenbrauen.
    Â»Mach da keine Sache zwischen uns daraus, Mia. Es geht um Mum.« Sie senkte die Stimme. »Sie liegt im Sterben. Ich

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