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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Clarke
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perfekten Projektionsfläche werden können. Mias Enttäuschung saß tief: Acht eng beschriebene Seiten bezeugten das. Katie griff wieder nach dem Tagebuch und suchte nach dem einen Satz, bei dem sie innegehalten, der ihr ans Herz gegangen war: Wäre Katie doch bei mir gewesen.
    Ach, wie sehr sie sich das wünschte! Hätte sie doch hingehört, als Mia versucht hatte, über Mick zu sprechen, und sich dem Thema nicht entzogen. Der drückende Schmerz in ihrer Stirn war bis in die Schläfen gewandert und krallte sich dort fest. Katie durchwühlte den Rucksack auf der Suche nach ihren Tabletten. Sie stieß auf ihr Portemonnaie, eine Tube Sonnencreme, ein Päckchen Taschentücher, und dann auf einen Reißverschluss zu einer kleinen Innentasche. Katie schob die Finger hinein und fühlte etwas Dünnes, Glattes. Sie zog es heraus. Es war ein Foto.
    Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen, dann stieg eine zähe Übelkeit in ihrer Kehle auf.
    Es war ein altes Bild, aufgenommen, als Mia sieben und Katie elf Jahre alt waren. Ihre Mutter hatte mit ihnen einen Ausflug in die Stadt gemacht, sie waren mit Strandtüchern und Badeanzügen im Gepäck über die Promenade getollt und hatten Cola­fläsch­chen aus einer Papiertüte genascht. Mia entdeckte das Karussell, das in der Sonne schillerte, als Erste; eine sanfte Meeresbrise trug seine klimpernde Musik heran.
    Es tauchte jedes Frühjahr für drei Wochen auf, bevor es sich mitten in der Nacht davonstahl. Und wenn das Karussell sich drehte, stiegen nicht etwa gewöhnliche Ponys an den Stangen auf und ab, sondern leuchtende Seepferdchen. Sie waren so unterschiedlich, als hätte man sie einzeln in ein Meer aus Farbe eingetaucht – in Kobalt, Ultramarin, Azur und Indigo –, und Mia und Katie bettelten jedes Jahr bei ihrer Mutter, damit sie eine Runde fahren durften.
    Die Betreiberin des Karussells strahlte bei ihrem Anblick. »Ach, die Seeschwestern!« Sie hatte Katie und Mia so getauft, weil sie nach ihrer Runde auf dem Karussell immer stundenlang am Meer spielten, während ihre Mutter am Strand saß, mit einem Buch und einem Styroporbecher voll Kaffee.
    Â»Ja, was haben wir denn da?«, sagte die Hüterin der Seepferdchen und zog mit großer Geste eine kleine Muschel hinter Mias Ohr hervor. »Und, nanu, was hast du denn hier?«, sagte sie zu Katie, die über eine lange, weiße Feder staunte, die ganz plötzlich in der Tasche ihres roten Sommerkleids erschienen war.
    Sie setzten sich nebeneinander auf das Karussell. Katie hatte so getan, als würde sie die Füße in die Steigbügel eines saphirblauen Seepferdchens stellen, bevor sie immer schneller auf und ab stieg. Mia ritt ein himmelblaues, ganz außen, damit sie den Fahrtwind spüren konnte.
    Â»Hey, ihr zwei!« Ihre Mutter hatte die Kamera auf sie gerichtet.
    Sie streckten die Arme aus, fassten sich bei den Händen und grinsten in die Kamera. Im Hintergrund glitzerte das Meer. Mia hatte das Foto an die Wand ihres Schlafzimmers in Cornwall gepinnt, seither aber hatte Katie es nicht mehr gesehen. Auf der Rückseite stand in Mias verblasster Kinderschrift ihr Spitzname: Seeschwestern .
    Katie fuhr mit einem zitternden Finger über den ausgefransten Rand des Fotos. Es war nur noch die Hälfte da: Sie war von dem Bild abgerissen worden.
    Wieso hast du das getan, Mia? Hattest du uns aufgegeben? Haben wir uns so entfremdet? Oder hast du mich erst nach unserem letzten Streit entfernt, wegen meiner bösen Worte? Die Fragen kreisten in ihr wie die Geier und stürzten sich auf ihren Kummer. Katie legte das zerrissene Foto in das Tagebuch und schlug es zu. Als sie endlich die Tabletten fand, nahm sie gleich zwei davon, zog sich ein Baumwollkleid an und rief sich ein Taxi.
    Mit einer heißen, harten Wut im Bauch schritt sie auf Micks Haustür zu. In der Mittagssonne blendeten die weiß gekalkten Wände. Katie klingelte und wartete, genau wie Mia ein halbes Jahr zuvor.
    Die Tür ging auf. Katie war darauf vorbereitet, dass Mick sie nicht erkennen oder unter einem fadenscheinigen Vorwand abwimmeln würde, aber nicht auf ein Gesicht, das zu einem breiten Lächeln wurde. »Katie!«
    Die Stimme war vertraut, voll und tief. Mick zog die zweite Silbe ihres Namens in die Länge, wodurch er fremd, wie etwas Besonderes klang. Katie suchte in seinem Gesicht nach einer Erinnerung aus Kindertagen und fand sie

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