Die Landkarte der Liebe
Schwester noch in London?«
»Katie. Ja. Sie fühlt sich da wohl.«
»Und wo fühlst du dich wohl?«
Sie hörte das beschwörende Murmeln der Wellen wie ein sanftes Raunen beim Liebesspiel. »Am Meer.«
Sie hatten ihr Thema gefunden und erzählten einander, an Âwelchem Meer sie sich heimisch fühlten. Noah liebte die klaren blauen Wasser der Tasmanischen See mit ihren wilden Wellen und einsamen Bullenhaien, Mia den Atlantik, mit seinen schroffen Granitfelsen, Kalksteinklippen und den groÃen Silbermöwen.
Noah hörte ihr aufmerksam zu und wandte nie den Blick von ihr ab. Durch seine Art gab er ihr Selbstvertrauen. Eine innere Blockade löste sich, stieà eine Tür in ihrer Kehle auf. Mia begann, von sich zu reden. Sie erzählte Noah von der Krankheit ihrer Mutter, bei der Katie die Pflichtbewusste und sie die Unbeteiligte gespielt hatte. Sie schilderte ihm ihr erstes Wochenende in London, als sie sich in den Hyde Park gelegt, zu den Wolken geschaut und sich an einen anderen Ort geträumt hatte. Sie offenbarte ihm sogar, dass sie nur deshalb nach Maui gekommen war, um ihren Vater wiederzusehen, der eine lächerliche Stunde lang Small Talk gemacht und sie dann wieder hinauskomplimentiert hatte. Währenddessen brannte das Feuer langsam nieder. Mias salzgetränktes Haar trocknete zu steifen Strähnen.
Plötzlich schaute sie auf. »Tut mir leid, ich rede viel zu viel.«
Er musterte sie gründlich. Seine Augen waren dunkel, ernst. Was hatten sie gesehen? Sie wirkten so viel älter als das Gesicht. Mia erkannte sich selbst in ihnen. Es zog sie mit Macht zu diesem Mann. »Nein, tust du nicht«, sagte er schlieÃlich.
Er nahm einen dünnen Zweig und stocherte in der Glut herum. Ihr Blick wanderte von seinen Fingern über sein Handgelenk zu der schwarzen Tätowierung, die sich bis zum Ellbogen zog. »Deine Tätowierung«, begann sie, »wann hast du die machen lassen?«
»Vor zehn Monaten.« Er warf den Zweig ins Feuer. Rötliche Funken sprühten in den Himmel. Er hielt den Arm ins Licht. Die Tätowierung war sehr ausdrucksstark, die Macht der Welle, die sich wild nach vorn stürzte, war beinah greifbar. Darunter waren sechs kleine Zahlen in die Haut geschrieben.
Mia war fasziniert. Eine solche Tätowierung war kein Ausdruck jugendlicher Rebellion, so wie die arabischen Schriftzeichen auf den bleichen Nacken der Jungs im College. Sie war noch ziemlich frisch und in die zarte Innenseite seines Unterarms gestochen worden. »Sie ist sehr schön«, sagte Mia und fuhr mit der Fingerspitze den Schwung der Welle nach.
Die Atmosphäre änderte sich schlagartig. Mia spürte seine Haut heià unter ihrem Finger.
Noah sah auf. Mia konnte selbst nicht fassen, wie dringend sie ihn küssen wollte. Sie waren Fremde, und doch kam es ihr vor, als würden sie sich ewig kennen. Das Verlangen nach ihm war überwältigend. Sie legte eine Hand an seine Wange, auf seine Bartstoppeln.
Er blinzelte, als hätte er die Berührung nicht erwartet. Mia glaubte schon, er würde sich ihr entziehen, dann aber beugte er sich vor und legte seine Lippen sehr sanft auf die ihren. Seine Lippen waren weich und warm. Mia schloss die Augen, als er sie näher an sich zog und intensiver küsste. Seine Zunge erforschte ihren Mund, seine Lippen schmeckten nach der See.
Ihre Hände glitten unter sein T-Shirt und zeichneten die Muskeln an seinem Rücken nach.
Er stützte sich auf einem Knie ab, legte eine Hand an Mias Hinterkopf und drückte sie nach hinten, bis sie auf dem Sand lag. Ihr Haar floss über den Boden. Noah fuhr mit der Zunge über ihr Schlüsselbein, bis zu ihrem Hals. Mia wurde schwindelig.
Ãber ihr hing ein Himmel voller Sterne, die Glut des Feuers kroch wärmend über ihren Körper. Ihr Kummer schmolz dahin, ihre Enttäuschung verlor sich unter dem Gewicht seines Körpers, unter der Hitze seiner Haut, dem Gefühl seiner Lippen an ihrem Hals. Mit Haut und Haar verlor sie sich an diesen Fremden.
Kapitel 9
Katie
Maui, April
Katie klappte das Tagebuch zu und legte es beiseite. Sie drückte die Hände gegen die Stirn, die Kopfschmerzen lagen schon auf der Lauer. Mias gewagte Begegnung mit diesem Fremden hätte sie bestimmt schockiert, wäre sie nicht so wütend auf Mick gewesen.
Manches Detail über ihren Vater war von Mia ferngehalten worden, und dadurch hatte er zu einer
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