Die Landkarte der Liebe
den Motor aus, beugte sich zu Katie und küsste sie auf die Wange. Ende der Diskussion.
Ohne Klimaanlage wurde es im Auto brütend heiÃ. Katie zupfte an ihrem Kleid herum, das Futter war schon feucht. Sie konnte es nicht erwarten, ins Hotel zu kommen und sich unter einen kalten, kräftigen Wasserstrahl zu stellen. Lange Autofahrten machten sie unruhig, sie hasste das Gefühl, wenn die Oberschenkel an den Ledersitzen festklebten und sich süÃe Snacks pelzig auf die Zähne legten. Katie lieà das Fenster herunter und atmete die Benzindämpfe ein.
Ein rostiger Pick-up hielt an der anderen Seite der Zapfsäule. Musik dröhnte aus den heruntergekurbelten Fenstern, Surfbretter lagen achtlos auf der Ladefläche, auf dem Beifahrersitz saà ein Mädchen in Mias Alter, die FüÃe auf dem Armaturenbrett. Ihre Zehennägel waren in Metallicblau lackiert. Ein Mann in ausgelatschten Flip-Flops stieg aus, die Fersen rissig und dreckig. Er machte die Benzinklappe auf und steckte den Tankrüssel in die Ãffnung. War er ein Typ wie Noah, das groÃe Mysterium in Mias Tagebuch, um das all ihre Einträge kreisten?
Katie fühlte sich nicht wohl dabei, in die intimen Momente von Mias Beziehung einzudringen, aber sie konnte sich auch nicht von diesen Seiten lösen, auf denen Mia ihre Gefühle für Noah offenbarte. Am nächsten Tag nach ihrem Wiedersehen war Mia auf den Beifahrersitz seines Vans geklettert, in dem es nach Neopren und warmem Surfwachs roch, und dann waren sie über unbefestigte StraÃen geholpert, Staubschwaden hinter sich, bis sie an einen menschenleeren Strand gekommen waren. Sie waren zu einer winzigen Insel geschwommen, hatten ihre Badesachen ausgezogen und sich in der Sonne auf den warmen Felsen getrocknet. Noah hatte ihr vom Speerfischen erzählt, von einem Schwarm spanischer Makrelen, der gemächlich und silbern über ihm herumwirbelte und so schön gewesen war, dass er ihn nicht jagen konnte. Mia hatte vom Reisen und vom Meer geschwärmt, von Hemingway, dessen Bücher in ihr die Lust auf beides geweckt hatten.
Mia schrieb Seite um Seite über Noah, schmückte die Einträge mit Motiven, die an den Seitenrändern wuchsen. Sie schilderte detailliert jede Unternehmung und hatte sogar ein Gespräch, in dem es um Musik gegangen war, Wort für Wort wiedergegeben. Andere Einträge waren von Zweifeln überschattet. Mia fragte sich, warum Noah nachts grundsätzlich allein schlief, oder sie interpretierte seine ruhige Art als ein Erkalten der Gefühle. Finn tauchte nur noch als Randbemerkung auf, und Katie vermisste ihn in Mias Aufzeichnungen.
Ed beugte sich zum Fenster. »Willst du irgendwas?«
»Nein, danke.«
Sie schaute ihm nach, als er in den Kiosk ging und dabei mit dem Autoschlüssel spielte. Katie drehte sich nach hinten, nahm Mias Tagebuch, legte es sich in den Schoà und schlug es dort auf, wo sie weiterlesen wollte. Dann sah sie das Datum: der erste Weihnachtstag.
An diesem Tag hatten sie miteinander gesprochen. Das Telefon hatte in dem Moment geklingelt, als Katie aus der Wohnung gehen wollte. Sie war schon an der Tür gewesen und eilig durch den Flur gerannt, ihre Handtasche hing an ihrer Hüfte. Sie hatte sich so gefreut, Mias Stimme zu hören, aber die erhofften, unbeschwerten Weihnachtswünsche hatten in bitteren Worten geendet. Nun also würde sie Mias Sicht auf das Gespräch erfahren, und der Gedanke machte Katie Angst. Sie biss sich auf die Lippen, denn dieses Telefonat war das Vorspiel zu ihrem letzten, verhängnisvollen Streit einige Wochen später gewesen.
Ed stieg wieder ins Auto und legte eine Handvoll Minzbonbons auf das Armaturenbrett. »Der Typ meint, es ist nicht mehr weit bis zum Hotel. Nur noch ein paar Kilometer.«
Sie nickte.
Ed lieà den Motor an, dann sah er das Tagebuch. »Was ist denn?«
»Nichts.« Sie klappte es zu und legte es weg.
»Katie?«
Sie schluckte. »Ich glaube, in Mias nächstem Eintrag geht es um einen Streit mit mir. Sie hat damals von Margaret River aus angerufen.«
Ed fuhr aus der Tankstelle und beschleunigte, um sich in eine Lücke zwischen den vorbeirasenden Autos zu quetschen. Als er in den Verkehr eingefädelt hatte, sagte er: »Und du vermutest, das wird eine schwierige Lektüre?«
»Gut möglich.«
»Worum ging es bei dem Streit?«
Sie zögerte. »Etwas zwischen Schwestern.«
»Wann
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