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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Ecke notdürftig erhellte Gasse,
     hinuntergegangen waren, bedeutete Marie Kelly ihm, ihr in eine schmale Passage zu folgen, die sich in undurchdringlicher Dunkelheit
     verlor. Andrew folgte ihr, überzeugt, dass er dort sein Ende finden oder zumindest von ein paar Kerlen, die viel größer wären
     als er, zusammengeschlagen würde, und die verächtlich auf seinen blutüberströmten Körper spucken würden, nachdem sie ihn bis
     auf die Socken ausgeraubt hätten. So ging es in diesem Viertel schließlich zu, und sein absurdes Abenteuer hätte ein solches
     Ende auch wohl verdient. Viel Zeit hatte er jedoch nicht, die Furcht in seiner Brust heranwachsen zu lassen, denn unvermittelt
     fanden sie sich in einem stinkenden Hinterhof voller Pfützen wieder, in dem sich zu seiner Verwunderung niemand außer ihnen
     befand. Andrew schaute sich argwöhnisch um. Aber so unwahrscheinlich es ihm vorkam, sie waren an diesem schmutzstarrenden
     Ort allein. Die Welt, der sie entflohen waren, nahmen sie nur noch als gedämpftes Stimmengewirr wahr, aus dem sich die Glockenschläge
     einer fernen Kirche hervorhoben. Zu seinen Füßen spiegelte sich der Mond in einer Pfütze wie ein zerknüllter Brief, den ein
     gekränkter Liebhaber auf die Erde geworfen hatte.
    «Hier werden wir ungestört sein, Sir», beruhigte ihn Marie Kelly, während sie sich an die Mauer lehnte und ihn zu sich heranzog.
    Bevor er wusste, wie ihm geschah, machte sich die Hure an den Knöpfen seiner Hose zu schaffen und holte seinen Penis hervor.
     Sie tat dies mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit, ganz ohne das aufreizende Zeremoniell, |53| an das er von den Huren aus Chelsea gewöhnt war. Die Gefühllosigkeit, mit der sie ihn nahm und unter ihre gerafften Röcken
     steckte, machte ihm klar, dass das, was für ihn einen Moment höchster Verzückung darstellte, für sie reine Routine war.
    «Er ist schon drin», versicherte sie ihm.
    Drin? Andrew war erfahren genug, um zu wissen, dass die Hure ihn anlog und nicht mehr getan hatte, als ihn zwischen ihren
     Schenkeln einzuklemmen. Er nahm an, dass dies eine verbreitete List war, ein Trick, mit dem die Mädchen, wenn sie Glück hatten
     und der Kunde nichts merkte oder schon zu betrunken war, das Eindringen verhindern und so die Zahl der hastigen Penetrationen,
     die sie täglich über sich ergehen lassen mussten, ebenso niedrig halten konnten wie die Zahl der lästigen Schwangerschaften,
     die eine solche Menge Sperma mit sich brachte. In diesem Bewusstsein begann Andrew kraftvoll zu stoßen, entschlossen, bei
     dieser Pantomime gehorsam mitzumachen, denn im Grunde reichte es ihm ja völlig, seine aufgebäumte Männlichkeit an der seidigen
     Innenseite ihrer Schenkel zu reiben und ihren Körper an seinem zu spüren, zumindest solange dieses Scheingefecht andauerte.
     Was machte es schon, dass das Ganze eine Farce war, wenn dieser Phantomliebesakt es ihm erlaubte, die vom Anstand vorgegebene
     Distanz zu überwinden und zu einer Intimität zu gelangen, die sonst nur Liebende kennen! Den heißen Blütenstaub ihres Atems
     an seinem Ohr zu fühlen, den verborgenen Duft zu atmen, den ihr Hals verströmte, sie an sich drücken zu können, bis ihre Körperformen
     mit den seinen verschmolzen, das war unendlich mehr wert als drei Pennys. Und es hatte dieselbe Wirkung auf ihn, wie |54| andere ausführlichere Unternehmungen, wie er bestürzt feststellte, als ihm aufging, dass er dabei war, sich in ihre Unterwäsche
     zu ergießen. Ein wenig beschämt wegen seines dürftigen Durchhaltevermögens hielt er sie noch einen erhebenden Augenblick lang
     wortlos umklammert, bis sie sich ungeduldig zu winden begann. Etwas unwillig schob er sie von sich. Unbekümmert um seinen
     Groll zupfte sich das Mädchen die Röcke hinunter und streckte ihm die Hand entgegen, um zu kassieren. Andrew bezahlte hastig
     den vereinbarten Preis und bemühte sich um Haltung. Er hatte genügend Geld in der Tasche, um sie für die ganze Nacht kaufen
     zu können, zog es jedoch vor, es bei dem Vorgeschmack dessen zu belassen, was er in der Intimität ihres Bettes zur Neige auskosten
     würde, und sich für den nächsten Tag mit ihr zu verabreden.
    «Ich heiße Andrew», stellte er sich mit vor Erregung piepsender Stimme vor. Sie zog belustigt eine Augenbraue hoch. «Und ich
     würde dich morgen gerne wiedersehen.»
    «Sicher, Sir. Sie wissen ja, wo ich zu finden bin», sagte das Mädchen und schob ihn durch die finstere Passage, durch die
    

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