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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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beruhigt gewesen, ihn in einer Welt fern der seinen zu wissen, da er nach der zermürbenden
     Lektüre dieser beiden Werke zu dem Schluss gekommen war, dass er mit James nur eines gemeinsam hatte, und das war, dass sie
     beide ihre Zeit damit verbrachten, auf eine Schreibmaschine einzuhämmern. Damals wusste er noch nicht, dass sein Kollege,
     der sich für die ermüdende mechanische |606| Arbeit viel zu fein war, es vorzog, einer Sekretärin zu diktieren. Wenn es ein Verdienst gab, das Wells ihm nicht absprechen
     mochte, so war es sein unabweisbares Talent, in endlos langen Sätzen nichts zu sagen. Und gewiss empfand James die gleiche
     Geringschätzung für sein Werk, denn er verzog unwillkürlich das Gesicht, als er sich als H.   G.   Wells vorstellte. Die beiden Männer musterten sich abschätzig, bis James offenbar der Meinung war, irgendein ungeschriebenes
     Höflichkeitsprinzip zu verletzen, und das ungemütliche Schweigen brach.
     
    «Scheint, als wären wir zur richtigen Zeit gekommen. Unser Gastgeber hat uns eindeutig heute Abend erwartet», sagte er, auf
     die Kerzenhalter deutend, die auf dem Boden standen und die Dunkelheit zwar nicht gänzlich vertreiben konnten, aber doch in
     der Mitte des Raums eine rechteckige Fläche erhellten, auf der die Begegnung offenbar stattfinden sollte.
    «Ja, scheint so», stimmte Wells zu.
    Danach richteten beide ihre Blicke nach oben und betrachteten die kunstvolle Deckengestaltung, die das einzig Bewundernswerte
     in der leeren Eingangshalle war. Zum Glück zog sich das peinliche Schweigen nicht allzu lange hin, denn jetzt hörten sie das
     Knarren der Türangeln, das die Ankunft des dritten Autors ankündigte.
    Der Mensch, der da so zaghaft eintrat, als würde er eine Krypta betreten, war ein großer, rothaariger, etwa fünfzigjähriger
     Mann mit flammendem Kinnbart. Wells erkannte ihn sofort. Es handelte sich um Bram Stoker, der das
Lyzeum Theatre
des berühmten Schauspielers Henry Irving leitete und dessen Manager und Busenfreund war. Als er |607| ihn so zurückhaltend, beinahe schüchtern eintreten sah, musste Wells daran denken, dass dieser Mann angeblich auch dem
Golden Dawn
angehörte, einer okkultistischen Gesellschaft, bei der auch einige seiner Kollegen, wie der walisische Schriftsteller Arthur
     Machen oder der Dichter W.   B.   Yeats, Mitglieder waren.
    Die drei Autoren gaben sich im Lichtfeld in der Mitte des Saals zur Begrüßung die Hand und versanken dann in bedrückendes
     Schweigen. James hatte sich wieder in seine aufgesetzte Unnahbarkeit geflüchtet, während sich Stoker neben ihm unbehaglich
     in den Schultern wand. Wells fand es belustigend, dass da drei Individuen peinlich berührt beisammenstanden und sich gar nichts
     zu sagen hatten, obwohl alle drei, wenngleich jeder auf seine Art, derselben Beschäftigung nachgingen.
     
    «Es ist mir eine Freude, festzustellen, dass Sie alle gekommen sind, Gentlemen.»
    Die Stimme kam von oben, und die drei Schriftsteller wandten die Köpfe zu der großen Treppe, von der ohne Hast, ganz so, als
     genieße er jeden seiner federnden Schritte, der mutmaßliche Zeitreisende zu ihnen herunterkam.
    Wells beobachtete ihn voller Neugier. Der Mann war um die vierzig, von mittlerer Statur und athletischem Körperbau. Ein Lächeln
     spielte um seine Lippen. Er hatte hohe Wangenknochen und ein energisches Kinn, und seinem sorgfältig gestutzten Bart schien
     die Aufgabe zuzukommen, den rohen Gesichtszügen einen zivilisierten Anstrich zu geben. Begleitet wurde er von zwei etwas jüngeren
     Männern, die merkwürdig aussehende Gewehre im Arm hielten. Dass es Gewehre waren, erkannten die Schriftsteller |608| weniger an deren Aussehen, das eher an gewundene Hirtenstäbe aus silbrig glänzendem Material denken ließ, als an der Art,
     wie sie getragen wurden; und man brauchte nicht allzu intelligent zu sein, um zu begreifen, dass aus ihnen der Hitzestrahl
     kam, der die drei Ermordeten das Leben gekostet hatte.
    Die gewöhnliche Erscheinung des Zeitreisenden jedoch enttäuschte Wells, als hätte er erwartet, dass jener, nur weil er aus
     der Zukunft stammte, irgendwie monströs oder wenigstens beunruhigend wirkte. Sollten die Menschen der Zukunft nicht weiterentwickelt
     sein, wie es Darwin behauptete?
    Der Zeitreisende trug, genau wie seine Büttel, einen eleganten braunen Dreiteiler und betrachtete seine Gäste mit einem zufriedenen
     Lächeln, als er unten bei ihnen angekommen war. Der etwas animalische Blick

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