Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
keine Antwort. Er sah, wie Marcus die Waffe hob und auf ihn zielte, und spürte ein plötzliches Schwindelgefühl in
     sich aufsteigen. Der Zeitsprung schien unmittelbar bevorzustehen. Also würde er doch noch ins Jahr 1888 versetzt. Er hatte
     es zu verhindern versucht, aber offenbar konnte er seinem Schicksal nicht entkommen. Wahrscheinlich existierte ein Universum,
     in dem Shackleton Zeit gefunden hatte, Marcus zu töten, in dem er nicht |689| mehr durch die Zeit reisen müsste und in aller Ruhe Bertie sein konnte; er jedoch befand sich unglücklicherweise in einem
     anderen, ähnlich dem des zukünftigen Wells, in dem er ebenfalls acht Jahre in die Vergangenheit reisen würde, in dem Hauptmann
     Shackleton aber, von einem Hitzestrahl durchbohrt, nicht mehr unter den Lebenden weilte.
    Als Wells sein Scheitern begriff, huschte ein trauriges Lächeln über sein Gesicht, während Marcus den Finger um den Abzug
     legte. Dann ertönte ein Schuss. Aber es war ein Schuss aus einer herkömmlichen Waffe. Jetzt war es Marcus, der Wells traurig
     lächelnd ansah. Eine Sekunde später ließ er seine Waffe sinken und dann zu Boden fallen wie ein vollkommen nutzlos gewordenes
     Gerät. Dann sank er wie eine Marionette, der man einen nach dem anderen die Fäden durchschneidet, auf die Knie, fiel hintenüber
     und lag verrenkt auf dem Boden, sein blutdurchtränktes Lächeln den Schriftstellern zugewandt. Hinter ihm wurde Inspektor Colin
     Garrett sichtbar, den rauchenden Revolver in der Hand.
    Hatte der Inspektor sie die ganze Zeit über im Auge gehabt?, fragte sich Wells beim Anblick des jungen Mannes. Nein, das konnte
     nicht sein, denn wenn er im ursprünglichen Universum von Garrett beobachtet worden wäre, das hieß in dem Universum, in dem
     er unvermeidlicherweise durch die Zeit reisen und sich selbst einen Brief schreiben würde und sich vor den verblüfften Blicken
     der anderen in Luft aufgelöst hätte, wäre Garrett in der Eingangshalle erschienen und hätte Marcus verhaftet oder wenigstens,
     falls dieser hätte fliehen können, egal ob durch Zeit oder Raum, den ganzen Schlamassel aufgedeckt. Doch Wells |690| wusste, dass dem nicht so gewesen war, da sein zukünftiges Ich einen Zeitungsartikel gelesen hatte, in dem berichtet wurde,
     die Schriftsteller Bram Stoker und Henry James seien unter mysteriösen Umständen in dem Spukhaus am Berkeley Square zu Tode
     gekommen. Es war offensichtlich, dass dieser Artikel nie erschienen wäre, wenn Garrett Zeuge dieses Ereignisses geworden wäre.
     Demzufolge konnte der Inspektor weder in dieser noch in der vorigen Welt in Erscheinung treten. Die einzige neue Karte im
     Spiel war Shackleton, den Wells gebeten hatte, ihm bei seinem Kampf gegen das Schicksal zu helfen. Wenn Garrett jetzt also
     hier war, dann konnte nur Shackleton der Grund dafür sein, was Wells zu der Vermutung Anlass gab, dass der Inspektor den Hauptmann
     beschattet hatte und ihm gefolgt war.
    Und er irrte sich nicht, denn ich, der ich alles sehe, kann Ihnen bezeugen, dass Garrett ein paar Stunden vorher, nach einem
     herrlichen Spaziergang mit der bezaubernden Miss Nelson durch den Green Park, in Piccadilly mit einem riesigen Kerl zusammengestoßen
     war. Er hatte sich umgedreht, um sich zu entschuldigen, doch der Mann schien es zu eilig zu haben, um stehenzubleiben. Aber
     die seltsame Eile des Mannes war nicht das Einzige, was Garretts Neugier geweckt hatte, sondern auch die außergewöhnliche
     Härte dieses Körpers, die er bei dem Zusammenprall gespürt hatte, der seine Schulter immer noch schmerzen ließ. Der Mann musste
     wenigstens eine mittelalterliche Rüstung unter seinem Mantel tragen. Schon eine Sekunde später kam ihm dieser Gedanke gar
     nicht mehr so abwegig vor. Sein Blick fiel auf die merkwürdigen Stiefel des Fremden, und mit einem Schaudern erkannte er jetzt,
     wer dieser Mann war. |691| Er sperrte den Mund auf, weil er es nicht glauben konnte. Wieder einen klaren Gedanken zu fassen versuchend, folgte er Shackleton
     unauffällig. Eine zitternde Hand hielt den Griff des Revolvers in der Manteltasche umklammert, doch er hatte keine Ahnung,
     wie er sich weiter verhalten sollte. Das Beste würde sein, sagte er sich, ihm erst einmal zu folgen, wenigstens so lange,
     bis er wusste, wohin es den Mann mit solcher Eile zog. Ebenso aufgeregt wie vorsichtig folgte ihm Garrett durch die ganze
     Old Bond Street und hielt jedes Mal den Atem an, wenn dürres Laub unter seinen Füßen wie altes

Weitere Kostenlose Bücher