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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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wäre es mit einem großen Besen aus
     dem Zeitgefüge hinausgekehrt worden. Verschwinden würden zum Beispiel alle farbigen Schnüre, die von der weißen Kordel der
     Landkarte der Zeit abzweigen, da es keine Parallelwelten gäbe, in denen Jack the Ripper verhaftet würde oder Ihre Majestät
     mit einem Zieräffchen auf der Schulter zu sehen wäre. Heiliger Himmel! Sogar die Landkarte der Zeit würde verschwinden! Wer
     sollte sie herstellen? Du siehst, Bertie , wenn du nicht zu der Verabredung gehst, löschst du eine ganze Welt aus. Aber lass dich davon nicht beirren. Das Einzige,
     was bleiben wird, ist das Erscheinen der Frau im Kaufhaus Olsen im Jahr 1984, obwohl niemand ihre Hand nehmen, sie retten
     und in ein hübsches Haus im georgianischen Stil bringen wird, wo sie glücklich sein wird.
    Und was wird dann aus dir? Ich nehme an, du wirst zu dem Augenblick zurückkehren, an dem deine eigene Zeitreise unmittelbar
     bevorsteht. Noch bevor Gilliams Spion dich mit Chloroform einschläfert? Wahrscheinlich , denn Marcus
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reiste nie in deine Zeit und brachte auch niemanden um. Garrett würde niemals Shackleton verdächtigen, und daher würde Gilliam
     dich auch nicht entführen lassen, damit du für ihn die Kastanien aus dem Feuer holst. Dann würde in der Nacht des 20.   November 1896 auch kein in Äther getränktes Taschentuch auf deine Nase gedrückt werden. Aber selbst wenn du in die Vergangenheit
     reist, wirst du wahrscheinlich keinerlei körperliche Wirkung spüren, wie sie bei Zeitsprüngen normalerweise festzustellen
     sind, sondern wirst einfach wie durch Zauberhand irgendwo auftauchen, ohne von der Zeitversetzung etwas zu merken, und natürlich
     auch ohne jede Erinnerung an das, was vorher war. Du wirst weder wissen, dass du durch die Zeit gereist bist noch dass tatsächlich
     Parallelwelten existieren. Wenn du beschließt, das Geschehene zu ändern, wird das passieren, was ich befürchte: Du wirst nie
     von mir erfahren. Es wäre so, wie ein Schachspiel bis zu dem Zug rückgängig zu machen, der das Schachmatt bewirkt. Wenn du
     dann den Turm ziehst anstatt den Läufer, nimmt das Spiel einen anderen Lauf, genau wie dein Leben, wenn du nicht zu der Verabredung
     gehst.
    Also, alles hängt von dir ab, Bertie . Turm oder Läufer. Dein Leben oder meines. Tu , was du glaubst tun zu müssen.
    Stets der Deine, Herbert George Wells

|682| XLI
    Und die Vorsehung? Was war mit der Vorsehung?, fragte sich Wells. Vielleicht war es ja sein Schicksal, durch die Zeit zu reisen;
     zuerst ins Jahr 1888, dann in den schrecklichen Krieg, in den die ganze Welt hineingezogen würde, und dann buchstabengetreu
     alles so zu machen, wie es in dem Brief beschrieben wurde. Vielleicht war es seine Bestimmung, ein Geschlecht von Zeitreisenden
     hervorzubringen. Vielleicht hatte er kein Recht, die Zukunft zu verändern, zu verhindern, dass der Mensch eines Tages durch
     die Zeit reiste, nur weil er sein Leben nicht aufgeben wollte, weil er bei Jane bleiben wollte in jener Vergangenheit, die
     nach seinem Gutdünken zu gestalten ihn so viel Mühe gekostet hatte.
    Aber es ging nicht nur darum, ob seine Wahl moralisch wäre, sondern herauszufinden, ob er wirklich eine Wahl hatte. Wells
     bezweifelte, dass ein Problem einfach dadurch zu lösen war, dass man nicht zu einer Verabredung erschien, wie sein zukünftiges
     Ich glaubte. Er war sicher, dass, wenn er nicht ginge, Marcus ihn früher oder später aufspüren und auf jeden Fall töten würde.
     Im Grunde wusste er, dass das, was er zu tun beabsichtigte, seine einzige Wahl war, sagte er sich, das Manuskript seines Romans
Der Unsichtbare
umklammernd, während die Kutsche am Green Park |683| vorbei in Richtung Berkeley Square fuhr, wo der Mann auf ihn wartete, der ihm ans Leben wollte.
    Nachdem er den Brief gelesen und wieder in den Umschlag gesteckt hatte, war er noch lange im Sessel sitzen geblieben. Ihn
     hatte die gönnerhafte Ironie gestört, mit der der zukünftige Wells sich an ihn gewandt hatte, aber er konnte es ihm nicht
     übelnehmen, da er ja selbst der Autor war. Und er musste zugeben, dass er im umgekehrten Fall wohl denselben paternalistischen
     Ton angeschlagen hätte. Tatsächlich war es ja so gewesen. Aber das war im Grunde noch das Geringste. Das Wichtigste war, sich
     so schnell wie möglich mit der unglaublichen Tatsache abzufinden, dass er selbst diese Seiten geschrieben hatte, damit er
     sich auf das Wesentliche konzentrieren konnte, nämlich zu

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