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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Pergament knisterte, dann durch
     die Burton Street bis zum Berkeley Square. Dort blieb Shackleton vor einem verlassen aussehenden Gebäude kurz stehen, kletterte
     an der Fassade hinauf und verschwand durch eine Fensteröffnung im ersten Stock. Der Inspektor hatte, hinter einem Baum verborgen,
     alles beobachtet und fragte sich nun, wie es weitergehen sollte. Sollte er auch in das Haus eindringen? Noch bevor er eine
     Antwort auf diese Frage fand, sah er eine Kutsche vor dem Gebäude halten und zu seiner nicht geringen Überraschung den Schriftsteller
     H.   G.   Wells aussteigen, der in aller Ruhe auf das verfallene Gebäude zuging und ebenfalls in dessen Innerem verschwand, dazu allerdings
     die Tür benutzte. Was hatten der Schriftsteller und der Mann aus der Zukunft miteinander zu tun?, fragte sich Garrett verblüfft.
     Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. Er schlich zum Haus, kletterte an der Fassade hinauf und stieg durch dasselbe Fenster
     ein wie kurz zuvor Hauptmann Shackleton. Im dämmrigen Inneren des Gebäudes hatte er dann alles mit angesehen, ohne selbst
     gesehen zu werden. Jetzt wusste er, dass Shackleton nicht aus der Zukunft gekommen war, |692| um ungestraft Böses zu tun, wie er anfangs geglaubt hatte, sondern um Wells vor jenem Zeitreisenden namens Marcus zu beschützen,
     dessen unseliger Plan, so hatte er schließen können, darin bestand, sich eines der Werke des Schriftstellers zu bemächtigen.
    Wells sah zu, wie der Inspektor vor Toms Leichnam niederkniete und ihm mit einer fast zärtlichen Geste die Augen schloss.
     Dann erhob sich Garrett, lächelte die Schriftsteller mit seinem kindlichen Lächeln an und sagte etwas, das Wells nicht mehr
     hörte, weil im selben Augenblick das Universum verschwand, als hätte es nie existiert.

|693| XLII
    Als der Hebel der Zeitmaschine bis zum Anschlag gezogen war, passierte nichts. Ein rascher Blick in die Umgebung zeigte Wells,
     dass er sich immer noch im 20.   November des Jahres 1896 befand. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, und er hatte das merkwürdige Gefühl, dass er
     schon sehr viel länger lächelte als seit dem Zeitpunkt, an dem er den Hebel betätigt und festgestellt hatte, was er längst
     wusste, dass nämlich die alte Mühle trotz ihrer unzweifelhaften Schönheit nichts weiter als ein nutzloses Spielzeug war. Das
     Jahr 2000 – das echte und nicht das, welches dieser Scharlatan von Gilliam Murray sich ausgedacht hatte – blieb für ihn unerreichbar.
     Wie die ganze restliche Zukunft. Er konnte das Ritual endlos wiederholen, es würde die reine Pantomime bleiben. Durch die
     Zeit zu reisen, konnte er vergessen. Niemand konnte das. Er saß in der Gegenwart fest und würde ihr nie entrinnen können.
    Mit wehmütiger Miene stieg er aus der Zeitmaschine, ging zum Dachfenster und schaute hinaus. Es war eine stille Nacht. Eine
     lautlose Unschuld lag mütterlich über den Feldern und benachbarten Häusern, die Welt schien sich ergeben zu haben, schrecklich
     wehrlos ihm allein ausgeliefert. Er konnte die Bäume in anderer Reihenfolge aufstellen, |694| den Blumen eine andere Farbe geben, jeden nur denkbaren Frevel ungestraft begehen, denn als Wells auf diese stillstehende
     Welt hinausblickte, hatte er das Gefühl, der einzige wache Mensch auf Erden zu sein. Wenn er die Ohren spitzte, glaubte er
     das Rauschen der Wellen an den Küsten zu hören, das unermüdliche Wachsen des Grases, das sanfte Schaben der Wolken am Himmelszelt,
     sogar das Knarren von altem Holz, das der Planet beim Drehen um die eigene Achse von sich gab. Und diese Stille besänftigte
     auch seine Seele, da ihn jedes Mal eine allumfassende Ruhe überkam, wenn er den Schlusspunkt unter einen Text gesetzt hatte,
     wie jetzt unter den Roman
Der Unsichtbare
. Jetzt befand er sich wieder am Ausgangspunkt, dem Moment, der für Schriftsteller so verführerisch wie schreckensvoll ist,
     da sie sich nun wieder entscheiden müssen, mit welcher von den vielen Geschichten, die in der Luft liegen, sie es aufnehmen
     wollen, an welches Thema sie sich für eine lange Zeit binden wollen. Dabei müssen sie mit großem Feingefühl vorgehen, alle
     Optionen in Ruhe prüfen, als ständen sie vor einem riesigen Kleiderschrank voller Anzüge, Zweireiher, Dreiteiler, Smokings
     und Fräcke, denn es gibt Geschichten, die gefährlich sind, andere weigern sich, in Gebrauch genommen zu werden, und es gibt
     Geschichten, die einen innerlich auffressen, während man daran schreibt;

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