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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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vornehmer Stadtpalais wie Distelfinken oder Zeisige zu pfeifen. Ganz London
     wollte das sagenhafte Gayettipapier, ohne dass der Nachbar davon erfuhr, was William nutzte, um den Preis in am Ende wirklich
     obszöne Höhen zu treiben, den die meisten seiner Kunden jedoch zu zahlen bereit waren.
    Nach ein paar Jahren konnten sie zwei luxuriöse Häuser in Brompton erwerben, aus denen sie bald wieder auszogen, um sich in
     Kensington niederzulassen, denn neben seiner Gehstocksammlung maß William am Reigen von Immobilienkäufen den Erfolg seines
     Lebens. Immer noch erstaunt darüber, dass ihm der kühne Akt, seine Ersparnisse in die Hände des Schwagers zu geben, ein hübsches
     Häuschen in Queen’s Gate beschert hatte, von dessen Balkon aus er die Schokoladenseite Londons betrachten konnte, genoss Sidney
     ein Leben in familiärer Zuversicht, wie es von jeder Kanzel gepredigt wurde. Er füllte sein Haus mit Kindern, Büchern und
     den Leinwänden vielversprechender Maler, stellte ein paar Bedienstete ein und verstand es sogar, seinen |177| alten Widerwillen gegen den Pöbel in Gleichgültigkeit zu verwandeln, da er diese Gefahr jetzt gebannt wusste. Er gewöhnte
     sich an sein neues Leben als wohlhabender Mensch, und es störte ihn auch nicht, dass dies auf dem wenig ehrenwerten Geschäft
     mit Klopapier beruhte. William war da anders. Seine Geldgier und Aufgeblasenheit verboten ihm, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben.
     Er brauchte den Applaus der Öffentlichkeit, die Ehrerbietung der Welt. Mit anderen Worten: Er wollte zu den Fuchsjagden der
     vornehmen Londoner Gesellschaft eingeladen werden, der er sich zugehörig fühlte. Doch sosehr er auch in den Rauchsalons umherstolzierte
     und seine Visitenkärtchen verteilte, es passierte nichts. In dieser verfahrenen Situation füllte sich seine Seele mit bitterem
     Groll auf die reiche Kamarilla, die ihn in demütigender Verfemtheit zu halten beschlossen hatte, während die Herren sich ihre
     vornehmen Hintern mit dem weichen Papier abwischten, das er ihnen lieferte. Die Feindseligkeit erreichte ihren Höhepunkt auf
     einer der seltenen Partys, auf die sie eingeladen wurden, als jemand, vom Alkohol beschwingt, seinen Witz unter Beweis stellen
     wollte und die beiden zu Offiziellen Abputzern des Königsreichs ernannte. Noch bevor der erste Lacher zu hören war, hatte
     sich William Harrington wie ein Orkan auf den dreisten Fatzke gestürzt und ihm mit einem Schlag mit dem Handstockknauf die
     Nase gebrochen, ehe ihn Sidney nach draußen zerren konnte.
    Die Party markierte ein Vor und ein Danach in ihrem Leben, denn William lernte daraus eine ebenso bittere wie nützliche Lektion:
     Was immer er an Reichtum und Wohlergehen dem Klopapier zu verdanken hatte, es war ein unauslöschliches Stigma, das seine Existenz
     überschatten |178| würde, solange er dabeiblieb. Also münzte er seinen Hass in Einfallsreichtum um und begann, einen Teil seines Vermögens in
     weniger unaussprechliche Geschäfte zu investieren. Bei der aufstrebenden Eisenbahn, zum Beispiel, wurde er in wenigen Monaten
     zum Hauptaktionär der wichtigsten Hersteller von Dampflokomotiven. Als Nächstes kaufte er einen zum Abwracken im Dock liegenden
     Überseedampfer, der auf den Namen
Fellowship
getauft worden war, hauchte ihm neues Leben ein und machte aus ihm das rentabelste Geschäft von allen, die die Weltmeere durchpflügten.
     In weniger als zwei Jahren schaffte er es mit seinem kleinen Imperium erfolgreicher Unternehmen, die Sidney mit der heiteren
     Eleganz eines Dirigenten leitete, dass sein Name nicht mehr mit therapeutischem Papier in Verbindung gebracht wurde, dessen
     letzte Bestellungen er stornierte und damit ganz Londen in eine stille Verzweiflung stürzte. Im Frühjahr 1872 lud Annesley
     Hall ihn zur ersten Fuchsjagd auf seinen Landsitz in Newstead ein, an der alle teilnahmen, die in London Rang und Namen hatten
     und nicht zögerten, William zu seinen außergewöhnlichen Geschäftserfolgen zu gratulieren. Leider verstarb auf dieser Fuchsjagd
     der vorwitzige junge Mann, der sich während jener anderen Party auf Williams Kosten hatte amüsieren wollen. In der Zeitung
     stand anderntags, der Unglückliche habe sich versehentlich mit der eigenen Büchse in den Fuß geschossen. Um diese Zeit war
     es, als William Harrington seine alte Uniform aus dem Schrank holte, sich hineinzwängte und sich malen ließ, als hinge die
     verwaiste Brust voller Orden. So begrüßte er mit herrischem

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