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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Blick jeden, der sein Stück Welt gegenüber dem Hyde Park fortan
     betrat.
     
    |179| Dies, und kein anderes, ist das Geheimnis, das ihre Väter so eifersüchtig wahrten und dessen Geschichte ich als leichtes Stück
     ausgesucht habe, um Ihnen die ermüdende Reise unterhaltsam zu gestalten. Doch ich fürchte, wir sind zu schnell damit fertig
     geworden. Denn in der Kutsche herrscht immer noch Schweigen, und es kann noch lange andauern, denn wenn Andrew es sich vornimmt,
     währt es manchmal Stunden, bis er in die Wirklichkeit zurückkehrt. Wenn ich mich also nicht gezwungen sehen soll, Ihnen die
     wenig aufregenden Hinterteile der Pferde zu beschreiben, muss ich nun der Zeit und dem Ziel der beiden vorgreifen: dem Haus
     von Mr.   Wells. Sowenig ich der quälenden Langsamkeit der Kutsche ausgeliefert bin, wie Sie meinen Ausführungen entnommen haben werden,
     so schnell kann ich, einem Blitz gleich, vorauseilen, und,
voilà
, schweben wir über dem Dach eines schlichten dreistöckigen Hauses mit Garten in Woking, mit Heidekraut und Silberpappeln
     vor der Tür, dessen fragile Fassade stets leicht erzittert, wenn die Züge nach Lynton vorüberrattern.

|180| XI
    Als Erstes stelle ich fest, dass der gewählte Moment, um in das Leben des Autors Herbert George Wells einzudringen, nicht
     der glücklichste ist. Um ihn nicht groß zu belästigen, könnte ich es mit einer kurzen Beschreibung seines Äußeren gut sein
     lassen und Ihnen sagen, dass der berühmte Schriftsteller ein blasser junger Mann von schlanker Gestalt war, der schon bessere
     Tage gesehen hatte. Aber von den zahlreichen Gestalten, die im Aquarium dieser Geschichte herumschwimmen, ist Wells zu seinem
     Leidwesen vermutlich derjenige, der die meisten Runden durchs Becken dreht, sodass ich gezwungen bin, sein Porträt schon ein
     wenig präziser zu gestalten. Neben seiner überwältigenden Schmalheit und der Leichenblässe seiner Haut fiel der Schnurrbart
     auf, den er sich der Mode gemäß hatte wachsen lassen und der in seinem kindlichen Gesicht viel zu groß, zu dicht und unpassend
     wirkte. Er wölbte sich wie eine Drohung über den feinen, ein wenig feminin wirkenden Mund, der im Verein mit den hellen Augen
     dem Gesicht einen Ausdruck verlieh, den man hätte engelhaft nennen können, wäre da nicht dieses spitzbübische Lächeln gewesen,
     das um seine Lippen spielte. Kurz gesagt, Wells hatte die Ausstrahlung einer Porzellanfigurine und strahlende Augen, hinter
     denen eine lebhafte Intelligenz |181| spielte. Wer es gerne noch detaillierter hätte oder wem es an Vorstellungskraft mangelt, dem sei gesagt, dass der Schriftsteller
     etwas über fünfzig Kilo wog, Schuhgröße dreiundvierzig trug, sich einen Linksscheitel kämmte und sein Körpergeruch, in der
     Regel von fruchtiger Note, heute etwas zu abgestandenem Schweiß tendierte, da er einige Stunden zuvor mit seiner neuen Gemahlin
     die Umgebung von Surrey auf einem Tandem erkundet hatte, jener neuen Erfindung, die sogleich die Herzen des jungen Ehepaars
     erobert hatte, da es weder Futter noch Stall benötigte und sich nie von der Stelle fortbewegte, an der man es abgestellt hatte.
     Darüber hinaus lässt sich nicht mehr viel sagen, ohne in die Vivisektion oder intime Bereiche vorzudringen, wie die bescheidene
     Größe und leichte Südostausrichtung seines Mannesgliedes.
    In diesem Augenblick saß er am Küchentisch, an dem er zu schreiben pflegte, und las eine Zeitschrift. Sein steif und angespannt
     auf dem Stuhl ruhender Körper kündete von dem inneren Kampf, in dem Wells sich befand. Auf den ersten Blick sah es zwar so
     aus, als säße er nur da und ließe das herrliche Spitzenwerk von Schattenmustern über sich herabsinken, das die späte Nachmittagssonne
     durch das Geäst des Baums im Garten schickte, doch in Wirklichkeit konnte er kaum den Zorn noch bändigen, der in ihm tobte.
     Er atmete ein-, zwei-, dreimal tief ein und bemühte sich verzweifelt, Ruhe zu bewahren. Es gelang ihm nicht. Der Beweis war,
     dass er die Zeitschrift nahm und gegen die Küchentür schleuderte. Wie eine verwundete Taube segelte sie durch die Küche und
     fiel ungefähr zwei Meter von seinen Füßen entfernt zu Boden. Wells betrachtete sie von seinem Stuhl mit einem gewissen Bedauern,
     atmete |182| tief ein, schüttelte den Kopf und stand schließlich auf, um sie aufzuheben und sich seiner Zornesaufwallung zu schelten, die
     eines zivilisierten Menschen unwürdig war. Er legte sie wieder auf den Tisch und

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