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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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nicht erklären konnte, warum ihm dieser widrige Wind derart heftig immer dann entgegenblies, wenn er seinen
     Fuß gerade auf den richtigen Weg gesetzt hatte.
    Sein alter Förderer Horace Byatt, der vor lauter Neuzugängen in seiner Schule nicht mehr aus noch ein wusste, rettete ihn,
     indem er ihm eine Stelle als Lehrer anbot, für zwanzig Pfund im ersten Jahr und vierzig in den darauffolgen Jahren. Diese
     Zahlen schwenkte er vor den Augen seiner Mutter, die ihn widerwillig ziehen ließ; erschöpft von all den fruchtlosen Versuchen,
     ihren Sohn von der schiefen |185| Bahn abzubringen. Erleichtert nahm Wells die Stelle bei seinem Retter an, dessen Erwartungen er schon bald zu erfüllen hoffte.
     Tagsüber unterrichtete er die kleinen Schüler, und in den Nächten büffelte er für seine Lehrerprüfung, verschlang mit wahrem
     Heißhunger alles, was er über Biologie, Physik, Astronomie und andere naturwissenschaftliche Themen fand. Seine titanische
     Anstrengung wurde mit einem Stipendium an der Pädagogischen Hochschule in London belohnt, an der kein Geringerer als Professor
     Huxley lehrte, der berühmte Physiologe und Bannerträger Darwins bei seinen dialektischen Disputen mit Bischof Wilberforce.
    Er war so daran gewöhnt, dass sich ihm die Welt stets von der unerfreulichsten Seite darbot, dass er mit einem reflexhaften
     Misstrauen reagierte, als seine Tante, Mary Wells, ihm vorschlug, in ihr Haus in der Euston Road zu ziehen, bei dem es sich
     allem Anschein nach um ein ganz normales Heim mit einladend harmonischer Atmosphäre handelte und das so gar nicht zu jenen
     schäbigen Absteigen passte, in denen sich sein bisheriges Leben abgespielt hatte. Er war seiner Tante so dankbar, dass sie
     ihm eine Waffenruhe in dem endlosen Kampf verschaffte, der sein Leben bislang gewesen war, dass er es fast als seine Pflicht
     ansah, um die Hand ihrer Tochter Isabel anzuhalten, einem süßen gutmütigen Mädchen, dessen stille Anwesenheit im Haus kaum
     auffiel. Bald jedoch begriff Wells, dass er seinen Entschluss vorschnell gefasst hatte, denn nach der Hochzeit, die wie eine
     lästige Formalität erledigt wurde, fand er nicht nur bestätigt, dass seine Cousine, wie er schon befürchtet hatte, überhaupt
     nicht zu ihm passte, sondern musste auch feststellen, dass sie dazu erzogen war, |186| eine beispielhafte Ehefrau abzugeben, das heißt, ihrem Gatten alle Wünsche von den Augen abzulesen, bis auf die natürlich,
     die ihn im Ehebett umtrieben, wo sie sich gefühllos wie eine Maschine zeigte, die für die Fortpflanzung eingerichtet, für
     die Lust jedoch unbrauchbar ist. Alles in allem war der gedämpfte Sexualtrieb seiner Frau aber nur ein geringes Übel, mit
     dem man leben konnte, wenn man sich anderen Betten nicht verschloss. Schon bald entdeckte Wells, dass die Welt hervorragend
     ausgestattet war mit den reizvollsten Lagern, zu denen ihm seine hypnotische Beredsamkeit jeden Zugang verschaffte, sodass
     er ab nun das Leben, das sich nicht mehr als mühseliges Klettern, sondern als ein bequemes Abwärtsgehen darstellte, in vollen
     Zügen genoss. Und sein Erstlingswerk verschaffte ihm den eigentümlichsten Leser, den er wahrscheinlich je haben würde. Kurz
     nach Erscheinen erhielt Wells die Karte eines Bewunderers, der seine Geschichte gelesen hatte und ihn nun bat, eine Einladung
     zum Tee anzunehmen. Der Name auf der Karte ließ ihn erzittern: Joseph Merrick, besser bekannt als der Elefantenmensch.

|187| XII
    Wells hatte schon von Merrick gehört, als er noch in South Kensington den Biologieunterricht besuchte. Für die Erforschung
     des menschlichen Körpers und seiner Funktionen war Merrick so etwas wie der Gipfel der Natur, ihr feinstgeschliffener Diamant,
     der lebende Beweis dafür, wie weit ihre Erfindungsgabe reichte. Der sogenannte Elefantenmensch litt an einer Krankheit, die
     seinen Körper auf schreckliche Weise verunstaltete und ein unförmiges, fast monströs zu nennendes Geschöpf aus ihm machte.
     Das befremdliche Leiden, das die medizinische Welt kopfstehen ließ, hatte die Gliedmaßen, Knochen und Organe seiner rechten
     Körperhälfte maßlos wachsen lassen, während die linke Körperseite praktisch unverändert blieb. Die rechte Seite seines Schädels,
     zum Beispiel, wies einen enormen Wulst auf, sodass man von einer Kopfform im herkömmlichen Sinne gar nicht mehr sprechen konnte,
     und der die Hälfte des Gesichts so verzerrte, dass es nur aus Falten und knöchernen Höckern bestand und

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