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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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deren Wahrscheinlichkeit,
     würde seine Erklärung leicht und bündig sein, mit einfachen Beispielen garniert, die den Lesern eine vielleicht allzu abstrakte
     Idee nachvollziehbar machten. Wie Sie wissen, würde sein Erfinder sagen, beziehen sich die drei räumlichen Dimensionen   – Länge, Breite und Höhe – auf drei Ebenen, die durch rechte Winkel miteinander verbunden sind. Dennoch war unter normalen
     Umständen die Fortbewegung des Menschen in seiner dreidimensionalen Welt nicht vollständig. Er konnte sich zwar problemlos
     in die Länge und Breite bewegen, doch hinderte ihn das Gesetz der Schwerkraft daran, dies auch nach oben oder unten zu tun,
     es sei denn, er benutzte einen Gas- oder Heißluftballon. Auf die gleiche Weise war der Mensch im Werden der Zeit gefangen,
     in der er sich nur mental bewegen konnte – mit Hilfe der Erinnerung |213| konnte er in die Vergangenheit reisen, mit Hilfe der Phantasie in die Zukunft. Aus diesem Gefängnis könnte er sich allerdings
     befreien, wenn er über eine Maschine verfügte, die ihm, wie ein Gasballon, über die physische Hürde hinweghülfe, indem sie
     den Zeitverlauf beschleunigte und den Menschen in die Zukunft schickte, oder den Zeitverlauf verlangsamte und ihn in die Vergangenheit
     zurückgehen ließ. Um seinen Gästen eine Vorstellung von der vierten Dimension zu geben, bemühte der Erfinder das Beispiel
     des Barometers. Dessen Quecksilber stieg und fiel im Lauf der Tage, doch seine vertikale Bewegung fand in keiner der bekannten
     Dimensionen statt, sondern in der Zeitdimension.
    Der zweite Teil des Romans erzählte von der Reise des Erfinders in seiner Zeitmaschine, die zu Ehren Merricks zu den geheimnisvollen
     Ozeanen der Zukunft führte. Diese Zukunft malte Wells mit kurzen, dennoch eindringlichen Pinselstrichen vor dem Herausgeber
     des
National Observer
aus.
    So kam es, dass im Jahr 1893
Die Geschichte vom Zeitreisenden
in Fortsetzungen im angesehenen
National Observer
erschien. Wells war verständlicherweise außer sich, als er hörte, dass seine Geschichte nicht in Romanform veröffentlicht
     werden sollte, da die Besitzer ihre Zeitschrift verkauften und der neue Aufsichtsrat erst einmal die in solchen Fällen übliche
     Säuberung vornahm, der sowohl Henley als auch das Romanprojekt zum Opfer fielen. Glücklicherweise blieb Wells kaum Zeit, sich
     in seinem Unglück zu suhlen, denn Henley übernahm schon bald darauf das Ruder der
New Review
, auf deren Seiten Wells das Projekt des Zeitreisenden nun weiterführen sollte. Und er überredete |214| sogar den starrköpfigen Verleger William Heinemann, die Geschichte als Roman in seinem Verlag herauszubringen.
    Von dem unermüdlichen Henley angespornt, brachte Wells seine gewagte Geschichte in eine lesbare Form. Wie schon Gewohnheit
     geworden, war dies ein mühsames, von den üblichen Widrigkeiten behindertes Unternehmen, nur dass es diesmal unter einem besonders
     ungünstigen Stern stand. Auf ärztlichen Rat war Wells mit Jane aufs Land in eine einfache Pension in Sevenoaks gezogen. In
     der Karawane von Kisten und Schrankkoffern, auf denen zuoberst der Weidenkorb thronte, reiste auch Janes Mutter, Mrs.   Robbins, die ihre Rolle als Nervensäge so weit perfektioniert hatte, dass sogar die Gesundheit ihrer Tochter darunter litt
     und diese immer mehr einer ausgemergelten, blassen Strohpuppe glich. Wie Sie erkannt haben werden, brauchte diese Frau beileibe
     keine Hilfe in ihrem unaufhörlichen Krieg gegen Wells, und doch fand sie eine unerwartete Verbündete in der Pensionswirtin,
     als diese herausfand, dass in den von ihr vermieteten Zimmern Nacht für Nacht nicht eine Ehe vollzogen wurde, sondern sie
     nur Platz boten für ein verwerfliches Konkubinat eines schüchternen Mädchens mit einem in Scheidung lebenden sittenlosen Gesellen.
     An zwei Fronten kämpfend, fand Wells kaum die nötige Konzentration, um mit seinem Roman voranzukommen. Sein einziger Trost
     war, dass die Reise in die Zukunft ihn weitaus mehr interessierte als das bislang Geschriebene.
    Überzeugt, dass die Menschheit sich in der fernen Zukunft sowohl in wissenschaftlicher wie in geistiger Hinsicht zur Vollkommenheit
     entwickelt haben würde, durchpflügte der Zeitreisende in seiner Maschine die weiten Steppen |215| des Morgen bis zum Jahr 802701; ein zufällig gewähltes Jahr, fern genug, um seine Prophezeiung
in situ
zu überprüfen. Im zitternden Licht einer Petroleumlampe, ständig belagert vom Gemäkel der

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