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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Wort ab.
    Danach Stille. Das Abendlicht ließ die Schatten härter hervortreten. Kaum wahrnehmbar bewegte sich die Gardine vor dem Fenster.
     Die abendliche Brise fuhr mit gespenstischem Wispern durch das Blattwerk des Baums, der wir eine krumme Lanze im Garten stand.
    «In Ordnung, Gentlemen», ließ Wells sich schließlich in beschwichtigendem Ton vernehmen und erhob sich entschlossen von seinem
     Stuhl. «Ich glaube, wir können das hier auf zivilisierte Weise regeln, ohne dass jemand zu Schaden kommt.»
    Andrew warf seinem Cousin einen flehenden Blick zu.
    «Das hängt ganz von Ihnen ab, Bertie», antwortete Charles mit spöttischem Lächeln.
    «Lassen Sie sie los, und ich zeige Ihnen meine Zeitmaschine.»
    Andrew starrte den Schriftsteller verblüfft an. Dann hatte Gilliam Murray mit seiner Vermutung recht gehabt? Wells besaß tatsächlich
     eine Zeitmaschine?»
    Zufrieden lächelnd ließ Charles Jane frei, die den winzigen Abstand zu ihrem geliebten Bertie überwand und sich in seine Arme
     flüchtete.
    «Ganz ruhig, Jane», beschwichtigte sie der Schriftsteller und strich ihr väterlich übers Haar. «Es wird sich alles regeln.»
    «Na?», sagte Charles ungeduldig.
    |222| «Folgen Sie mir auf den Dachboden.»
    Einem Leichenzug gleich, mit Wells an der Spitze, stiegen sie eine knarrende Leiter hinauf, die jeden Moment unter ihnen zusammenzubrechen
     drohte. In einer Ecke unter einem Kippfenster, durch das die letzten Sonnenstrahlen fielen, stand die merkwürdige Apparatur.
     Andrew trat näher, um sie neugierig und ein wenig argwöhnisch in Augenschein zu nehmen.
    Auf den ersten Blick kam ihm die Maschine, die die beengenden Mauern der Gegenwart einzureißen imstande sein sollte, wie ein
     verbesserter Pferdeschlitten vor. Das längliche Holzgestell, auf dem das Gerät montiert war, verriet jedoch, dass es nicht
     dazu gedacht war, sich räumlich fortzubewegen. Auf Hüfthöhe war es von einer Messingstange umgeben, einer minimalen Schutzvorrichtung,
     über die man steigen musste, um auf dem starren Sitz in der Mitte der Apparatur Platz zu nehmen. Er erinnerte an einen Friseursessel
     mit fein gedrechselten hölzernen Armlehnen, gepolstert und mit rotem Samt bezogen. Vorne, ebenfalls von zwei Messingstangen
     gehalten und mit floralen Applikationen verziert, befand sich ein mittelgroßer Zylinder, der als Armaturenbrett diente und
     drei Fenster aufwies, je eines für die Anzeige von Tagen, Monaten und Jahren. Aus einem an der rechten Seite des Zylinders
     angebrachten Rad ragte ein zierlicher Hebel aus Kristall. Da an der ganzen Maschine keine Kurbel oder Ähnliches zu sehen war,
     schloss Andrew, dass ihr Funktionieren allein von diesem Hebel abhing. Hinter dem Sitz befand sich ein kompliziertes, einem
     Destillierapparat nicht unähnliches Räderwerk, aus dem eine Achse mit einer großen Drehscheibe ragte, das zweifellos auffälligste
     Teil der Maschine, |223| größer als ein Spartanerschild, mit rätselhaften Symbolen übersät und offenbar dazu bestimmt, in Drehung versetzt zu werden.
     An den Armaturenzylinder war eine Plakette geschraubt, auf der zu lesen stand: «Gebaut von H.   G.   Wells».
    «Sind Sie auch Erfinder?», fragte Andrew ungläubig.
    «Natürlich nicht. Machen Sie sich nicht lächerlich», entgegnete Wells scheinbar ärgerlich. «Ich habe Ihnen doch schon gesagt,
     dass ich bloß ein einfacher Schriftsteller bin.»
    «Wenn Sie sie nicht gebaut haben, wo haben Sie sie dann her?»
    Wells seufzte, als sei es ihm zutiefst zuwider, diesen Fremden Rede und Antwort stehen zu müssen. Charles drückte den Revolverlauf
     gegen Janes Schläfe und sagte:
    «Mein Cousin hat Ihnen eine Frage gestellt, Mr.   Wells.»
    Der Schriftsteller warf ihm einen zornigen Blick zu und seufzte noch einmal.
    «Kurz nach Erscheinen meines Romans», sagte er, da er begriff, dass ihm keine andere Wahl blieb, als den Eindringlingen zu
     gehorchen, «nahm ein Wissenschaftler Kontakt mit mir auf. Er sagte mir, er arbeite schon seit Jahren heimlich an einer Maschine,
     mit der man durch die Zeit reisen könne, und sie sähe ganz ähnlich aus wie die in meinem Buch beschriebene. Sie sei so gut
     wie fertig, und er möchte sie gern jemandem vorführen, wisse aber nicht wem. Nicht ganz zu Unrecht nahm er an, dass es sich
     bei seiner Maschine um eine gefährliche Erfindung handelte, die unkontrollierte Habgier zu wecken vermochte. Mein Roman hatte
     ihn davon überzeugt, dass ich die Person war, |224| der er sein

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