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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Niemand wird sich an sie oder ihr Tun erinnern, wenn sie einmal gestorben
     sind. Sie hingegen werden in die Geschichte eingehen.»
    Merrick schien über diese Worte nachzudenken, wobei er sein deformiertes Spiegelbild, diese bittere Erinnerung an seinen Zustand,
     in der Fensterscheibe betrachtete.
    «Glauben Sie, dass das ein Trost für mich ist?», fragte er wehmütig.
    «Das sollte es», antwortete Wells, «denn die Zeit des alten Ägypten ist vorbei, Mr.   Merrick.»
    Und da Merrick weiterhin selbstvergessen sein Spiegelbild anstarrte, hielt er die Zeit für gekommen, sich zu verabschieden.
    «Haben Sie vielen Dank für den Tee, Mr.   Merrick.»
    «Warten Sie», reagierte dieser nun. «Ich möchte Ihnen ein Geschenk mitgeben.»
    Er ging zu einem Wandschrank und wühlte ein paar Minuten darin herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. Verwirrt erkannte
     Wells, dass es sich um einen geflochtenen Weidenkorb handelte.
    «Als ich Mrs.   Kendall einmal gestand, mein größter Wunsch sei immer gewesen, Körbe flechten zu können, beauftragte sie einen Korbflechter,
     es mir beizubringen», erklärte Merrick, der den Korb so behutsam in seinen Händen hielt, als handle es sich um ein neugeborenes
     Kind oder ein Vogelnest. «Er war ein sympathischer und bescheidener Mann, der sein Handwerk in der Pennington Street, in der
     Nähe der London Docks, betrieb. Er behandelte mich von Anfang an so, als sähe ich nicht anders aus als er. Als er jedoch meine
     Hände sah, sagte er mir gleich, dass ich |205| damit unmöglich den Beruf eines Korbflechters würde ausüben können. Es täte ihm leid, aber es sei ganz klar, dass wir beide
     damit nur unsere Zeit vergeuden würden. Aber Zeit ist nie vergeudet, wenn man versucht, einen Traum wahr werden zu lassen,
     nicht wahr, Mr.   Wells? ‹Zeigen Sie es mir›, sagte ich zu ihm, ‹nur so finden wir heraus, ob Sie recht haben.›»
    Wells betrachtete das vollkommene Geflecht des Korbes, den Merrick so ehrfürchtig in seinen unförmigen Händen hielt.
    «Seitdem habe ich viele Körbe geflochten, von denen ich einige meinen Gästen geschenkt habe. Aber dieser ist etwas Besonderes,
     denn er ist mein erster. Ich möchte, dass Sie ihn mitnehmen, Mr.   Wells», sagte er und hielt ihm den Korb hin. «Damit Sie nie vergessen, das unser Wille das Einzige ist, was zählt.»
    «Danke», stammelte Wells gerührt. «Es ist mir eine Ehre, Mr.   Merrick. Ein große Ehre.»
    Er verabschiedete sich mit einem herzlichen Lächeln und wandte sich zur Tür.
    «Eine letzte Frage noch, Mr.   Wells», hörte er Merrick hinter sich sagen.
    Wells drehte sich zu ihm und hoffte nur, dass er nicht die Adresse des verdammten Nebogipfel wissen wollte, um auch dem einen
     Weidenkorb zu schicken.
    «Glauben Sie, dass Sie und mich derselbe Gott gemacht hat?», fragte Merrick.
    Wells musste einen Stoßseufzer unterdrücken. Was konnte er darauf antworten? Er überlegte noch, was er sagen sollte, als Merrick
     plötzlich einen seltsamen Laut von sich gab, eine Art Husten oder Grunzen, etwas, das seinen |206| ganzen Körper erschütterte und ihn umzuwerfen drohte. Besorgt sah Wells, wie dieses Stentorengeröchel aufs Neue hervorbrach,
     unkontrolliert aus der Kehle seines Gastgebers nach oben drang, und dann erkannte er, was vor sich ging. Merrick war nichts
     Besorgniserregendes zugestoßen, er lachte bloß.
    «Ein kleiner Scherz, Mr.   Wells, nur ein Scherz», sagte er und ließ sein heiseres Gekrächz angesichts der Furcht, die sich auf dem Gesicht seines Gastes
     abzeichnete, verklingen. «Was würde aus mir werden, wenn ich nicht über mein Aussehen lachen könnte?»
    Ohne Wells’ Antwort abzuwarten, begab er sich zu seinem Schreibtisch und setzte sich, um sich das unvollendete Modell der
     Kirche vorzunehmen.
    Und jetzt, da er ihn lachen gehört hatte, fragte sich Wells, ob ihn der sogenannte Elefantenmensch nicht von Anfang an, gleich
     nach Betreten des Zimmers, mit einem breiten Lächeln empfangen hatte; einem Lächeln, welches seinen Besuchern das Unbehagen
     nehmen sollte, das sein Aussehen hervorzurufen pflegte; einem freundlichen, sanften Lächeln, von dem die Welt niemals erfahren
     würde.
    Als er die Tür hinter sich schloss, merkte er, dass ihm eine Träne über die Wange lief.

|207| XIII
    So war der Weidenkorb in sein Leben getreten und hatte sogleich begonnen, einen überraschten Wells mit Glücksgarben zu befeuern
     und ihm den Staub des aufgestauten Unglücks aus den Kleidern zu

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