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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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beschwindelt hat.» Sie verstummte und lächelte versonnen. «Früher war ich sogar stolz darauf, dass er alle an der Nase herumgeführt hat. Stolz, dass mich mein Blut von dem der dummen, gläubigen Masse unterschied. Heute sehe ich die Sache jedoch anders. Heute glaube ich, jemanden lieben zu können, der das Gleiche täte wie er … Einfach nur deshalb, weil er doch nichts anderes getan hat, als der Welt einen Traum zu geben.»
    Murray betrachtete sie nachdenklich, und nach und nach begann sich auf seinen Lippen ein Lächeln abzuzeichnen. Der Welt einen Traum geben … Ja, warum eigentlich nicht? Wie Emma schon gesagt hatte, man konnte die Dinge auch von einer anderen Seite sehen. Es war alles nur eine Frage der Perspektive.
    «Dann will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, Emma. Etwas, wovon kein Mensch etwas weiß. Und danach wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als mich zu lieben.»
    «Tatsächlich?», rief Emma, ebenso belustigt wie überrascht.
    Murray nickte.
    «Was wissen Sie über das Unternehmen ZEITREISEN MURRAY ?»
    «Nun, alles, was man in der Zeitung lesen konnte», antwortete Emma verwundert. «Und dass es gerade da seine Tore geschlossen hat, als ich meine Mutter dazu überredet hatte, nach London zu fahren und an der dritten Zeitreise ins Jahr 2000 teilzunehmen. Es hieß, das Unternehmen habe den Betrieb eingestellt, weil Sie
gestorben
seien.»
    «Na, dann werden Sie sich wundern …», verkündete Gilliam.
     
    Ich hoffe, lieber Leser, Sie werden es mir nachsehen, wenn ich diesen delikaten Moment unterbreche; doch obwohl das Gespräch hochinteressant zu werden verspricht, bin ich – wahrscheinlich ebenso wie Sie – noch neugieriger darauf, zu erfahren, was in derselben Zeit in dem Zimmerchen passiert, in dem Wells und Clayton verschwunden sind.
    «Ich will Ihnen etwas zeigen, das Sie interessieren dürfte», hatte der Agent gesagt. War das nur eine Ausrede gewesen, damit die Turteltäubchen eine Weile für sich sein konnten? Da ich Claytons
Sensibilität
in diesen Dingen kenne, wage ich das zu bezweifeln. War es vielleicht eine subtile Art, Wells zu entführen, ohne dass die beiden sich ausgeschlossen fühlten? Das halte ich schon für wahrscheinlicher. Warum aber wollte der Agent mit dem Schriftsteller allein sein? Und ist das, was in dem Nebenzimmer passiert, für den Verlauf unserer Geschichte wichtiger als das, was im Salon geschieht? Wenn ich ein so geschickter Schreiber wäre, dass ich beide Unterhaltungen gleichzeitig und parallel erzählen könnte, würde ich das tun; doch leider gehört diese Fähigkeit nicht zu meinen ohnehin knapp bemessenen Tugenden, sodass ich das Gespräch im Wohnzimmer der Unterhaltung im Nebenzimmer opfern werde, wobei ich bete, dass Wells und Clayton nicht nur darüber diskutieren, ob Krawatten oder Fliegen vorzuziehen sind oder welches die beste Jahreszeit ist, um dicke Bohnen zu ernten.
    Das Zimmer, in dem sie sich befanden, war nicht so groß wie der Salon, aber natürlich größer als die Speisekammer, und auf den ersten Blick konnte Wells nicht erkennen, ob Clayton es als Waffenkammer benutzte, als eine Art Laboratorium, oder schlicht als Lagerraum für alten Kram, denn es stapelten sich dort die seltsamsten Apparaturen und alle möglichen Waffen, Gegenstände, die man allein mit Okkultismus, Hexenglauben, Zauberei und sonstigen Schwarzen Künsten in Verbindung bringen konnte, die für den Schriftsteller stets reiner Betrug und Schwindel gewesen waren.
    Clayton wandte sich einer Vitrine zu, die in der Zimmerecke stand und in der – säuberlich aufgereiht – Wells mindestens ein Dutzend künstlicher Hände erblickte. Es gab sie in verschiedenen Materialien, die meisten waren jedoch aus Holz oder Eisen, und während einige so natürlich wie möglich gestaltet waren, gab es andere, zu tödlichen Waffen umgearbeitete. Die Finger einer Hand waren zu scharfen und spitzen Stiletts geschliffen, eine weitere sah aus wie ein Mittelding zwischen Hand und Pepperboxpistole, und mindestens zwei hatten derart komplizierte Mechanismen, dass Wells unmöglich erraten konnte, wie sie funktionierten. Clayton schraubte sich die zersplitterte Prothese ab, legte sie behutsam zur Seite und betrachtete nachdenklich die Sammlung künstlicher Glieder, die, auf ihren Fingerspitzen ruhend, wie haarlose Spinnen aussahen. Er überlegte, welches in ihrer derzeitigen Lage von größtem Nutzen sein konnte.
    Unterdessen schlenderte Wells gedankenverloren durch den extravaganten

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