Die langen Schatten der Erleuchtung
machen!“, meinte Lissy und bedeckte eine Scheibe Schwarzbrot fingerdick mit Krabben.
„Wahrscheinlich haben wir nach einer Stunde schon wieder Hunger“, erklärte Giaccomo, „aber das macht ja nichts. Es ist ja wirklich genug da!“
„Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich echten Kaviar esse“, schmunzelte Gerhard, „besonders toll finde ich den schwarzen Dreck aber nicht! Doch der Lachs ist echt Klasse!“
„Ich habe noch eine kleine Überraschung“, sagte Vera am Abendbrottisch, „in zehn Minuten wird warmer Prager Schinken angeliefert. Wir können ja nicht nur Fisch essen. Wir müssen unserem Harald auch ´mal was bieten. All die Wochenenden hat er uns immer bekocht. Da dürfen wir jetzt nicht kleinlich sein!“
Der Prager Schinken wurde in Alufolie eingewickelt in einem Holzgestell geliefert, und ein köstlicher Duft breitete sich von der Küche her im gesamten Haus aus. Gerhard holte das große Messer aus der Schublade und schnitt den Schinken fachkundig an. „Seid mir nicht böse, meine Lieben“, meinte Marlies und nahm sich noch eine Flasche Wasser aus der Getränkekiste, „ich kann den Geruch von gebratenem Fleisch nicht mehr ertragen! Ich gehe schon nach hinten, Harald! Lasst es euch schmecken!“
Jutta stellte böhmisches Starkbier auf den Tisch. Giaccomo rieb sich den Bauch: „Ich glaube, Käthchen, morgen steige ich bei eurer Fastenkur mit ein!“
Käthchen zeigte keine Reaktion. Sie saß versteinert in ihrem Stahlelement und trank ein winziges Glas mit Sauerkrautsaft. Dann trat auch sie genervt vom Geruch des Prager Schinkens den Rückzug an und schlug wortlos die Küchentür hinter sich zu.
„Die Wege der Maßlosigkeit führen zum Tempel der Entsagung!“, kommentierte Hanif die Situation und legte sich eine weitere Scheibe des köstlichen Bratens auf seinen Teller.
* * *
„Es war genau 2.36 Uhr“, meinte Jutta später, „als dieses entsetzliche Geschrei losging. Ich bin nämlich hochgeschreckt und habe in dem Moment automatisch auf meinen Radiowecker geschaut. Giaccomo lag neben mir und schnarchte, er hat überhaupt nichts mitbekommen. Aber mich werden diese Schreie mein Leben lang verfolgen!“
Es war Vera gewesen, die so gekreischt hatte. Jetzt lag sie in ihrem Zimmer und schlief. Der Arzt, der den Totenschein ausstellte, hatte ihr eine Beruhigungsspritze gegeben. Bis spät in den Abend hatte Vera immer wieder von der Fischplatte genascht - besonders von den köstlichen Matjes. Mitten in der Nacht wurde sie wach und spürte einen fürchterlichen Durst. Sie ging in die Küche, um sich eine gekühlte Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Da sich ihr Zimmer genau gegenüber der Küche befand, sah sie sofort, dass die Tür nur angelehnt war. Die Küche lag im Dunkeln, nur ein schmaler Spalt fahles Licht fiel in den Raum. Jemand hatte vergessen, die Tür zum Kühlschrank zu schließen. Als Vera in die Küche trat, entdeckte sie Käthchen in ihrem Stahlelement: Die hatte im Sitzen alle Viere von sich gestreckt, ihr Mund war weit aufgerissen. Sie war im Todeskampf blau angelaufen. Und alles war in dieses gespenstische Licht des geöffneten Kühlschranks getaucht - eine Szene wie aus einem Gruselfilm.
Vera begriff augenblicklich, dass Käthchen tot war, fing an zu schreien und konnte nicht mehr aufhören. Jojo, der auf der Veranda noch wach lag, kam als erster in die Küche. Er machte das Licht an und kümmerte sich erst einmal um die hysterisch kreischende Vera. Er trug sie in ihr Zimmer. Dann kamen auch schon die anderen. Jutta wählte sofort die Nummer des Notarztes.
Käthchen hatte in dieser Nacht solange in ihrem Zimmer gewartet, bis alle im Hause schliefen. Hanif brauchte am längsten. Wie ihr ein nerviges, rhythmisches Quietschen eines Bettes verriet, hielt er sich noch bei Vera auf, obwohl an diesem Wochenende kein Heimspiel von Pauli stattgefunden hatte. Weit nach Mitternacht hatte sie endlich seine Schritte gehört, wie er die Treppe zu seinem Schlafplatz bei Jutta und Giaccomo in den ersten Stock hoch schlurfte. Dann war Käthchen in die Küche geschlichen. Sie war völlig am Ende und konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie musste unbedingt etwas essen. Ohne dabei entdeckt zu werden. Käthchen wuchtete sich in ihr Stahlelement und aß im Dunkeln bei offener Kühlschranktür von der Fischplatte. Sie schlang Krabben, Lachs und Aal in sich hinein. Ihr Schicksal wurde schließlich durch eine
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