Die langen Schatten der Erleuchtung
eine gute Idee!“
Unterwegs hatten sie noch kurz im Reformhaus und in der Apotheke vorbeigeschaut und sich die notwendigen Utensilien für eine Fastenkur besorgt. Marlies packte die Hilfsmittel für den täglichen Einlauf und die Darmspülung bei einem Glas Rotwein in »Karls Eck« aus, als sie auf ihr Essen warteten. Käthchen hatte Marlies doch noch zu einem anderen Gericht überredet: „Wenn schon, denn schon!“
„Siehst du, Käthchen! Das hier ist der Behälter mit dem Schlauch, mit dem du jeden Morgen einen Liter Wasser in die Darmwindungen laufen lässt – das spült dir schon mal 2 Kilo überflüssiges Gewicht heraus. Und am dritten Tag nehmen wir das Glaubersalz. Das trinkt man mit warmem Wasser, dadurch wird der Darm noch mal total von den letzten Resten gereinigt. Das ist die Voraussetzung für das Fasten. Durch die Darmentleerung verliert man das Hungergefühl!“
Käthchen wiegte zweifelnd den massigen Kopf mit der Dauerwelle: „Das hört sich so nach ´ner Vergewaltigung von hinten an!“
„Erlaubt ist einmal am Tage ein Glas heiße Gemüsebrühe. Und natürlich muss man jede Menge Wasser und Tees trinken! Das spült die Giftstoffe aus dem Körper!“
„Welche Giftstoffe?“
„Na, von den Konservierungsstoffen, und überhaupt!“
„Und wie lange soll das dauern!“
„Das steht alles in diesem Büchlein!“ Marlies holte aus ihrer Handtasche ein Buch, das auf dem Umschlag eine lachende, schlanke Frau zeigte. „Also, 7 Tage sollten wir schon veranschlagen! Und danach fällt es uns auch leichter, unsere Ernährung endgültig umzustellen!“
„Ich weiß nicht!“
„Denk an Vera, Käthchen!“
Bei dieser Bemerkung begannen die Kiefer von Käthchen zu mahlen, und es bildete sich ein entschlossener Zug um ihre Lippen.
„Und nun mal Vorsicht an der Bahnsteigkante, meine Damen“, unterbrach der Wirt Karl, der zwei große Teller an den Tisch balancierte, „hier kommt das Essen: zweimal Eisbein mit Erbsenpüree, Sauerkraut und Speckstippe!“
Noch ärger als das Entsagen,
ist es, nichts zu haben.
Lettojak
Haralds Rosskur oder wie ihm die Zeit davonläuft.
„Am Donnerstag ist dein Hochzeitstag?“
Harald nickte. Sein vierschrötiger Hausarzt Dr. Kicoka duzte ihn seit der Zeit, als sie noch gemeinsam überlegt hatten, ob sie für ihn eine Kur in einer Trinkerheilanstalt beantragen sollten. Sie hatten sich dann für eine ambulante Behandlung in seiner Praxis entschlossen, bei der eine von Dr. Kicoka höchst persönlich angerührte Mixtur, von der Harald sich fürchterlich erbrechen musste, das einzige begleitende Medikament auf dem Weg zu Haralds Trockenheit war. Dr. Kicoka war ein kleinwüchsiger Koreaner, der auf seltsamen Umwegen im Viertel hängen geblieben war. Er ging jetzt hart auf die Siebzig zu, doch er war bei den Menschen im Schanzenviertel trotz seiner etwas ruppigen und ganz und gar nicht asiatischen Art beliebt und wurde für seine schonungslose Offenheit geschätzt. Sein Wartezimmer war stets gut gefüllt. Von den Fachärzten im Schanzenviertel jedoch wurde er hinter vorgehaltener Hand abschätzig der Hustendoktor genannt, weil man sich, ohne sein Leben zu riskieren, nach ihrer Meinung nur mit einer Erkältung seinen Heilkünsten anvertrauen konnte. Doch niemand wagte es, solche Kritik offen zu äußern, denn in jüngeren Jahren hatte Kicoka einmal den Hafenarbeiter Hein, der im Schanzenviertel aufgrund seiner Größe und Kraft nur respektvoll Tarzan genannt wurde, in einem Halte- und Würgegriff schmoren lassen. In der Kneipe «Cap Horn» wollte Tarzan „ es dem verfluchten Schlitzauge“ endlich ´mal zeigen“, hatte aber am Ende nur noch um Gnade gewinselt.
„Am Donnerstag schließe ich meine Praxis um 15.00 Uhr. Kurz vorher kommst du vorbei, dann verpasse ich dir eine Spritze, eine alte koreanische Rezeptur“, lächelte Dr. Kicoka wie ein Nussknacker, „ die reicht für ein Pferd!“
Harald nickte. Er hatte sich Dr. Kicoka anvertraut. Er wollte Marlies an ihrem Hochzeitstag überraschen. „Wissen Sie, ich bin zum Handlungsbevollmächtigten befördert worden!“ Er legte Dr. Kicoka eine Visitenkarte aus der dritten Auflage auf den Tisch. „Es ist ein Posten mit viel Verantwortung. Mit sehr viel Verantwortung, wenn ich das ´mal so sagen darf. Und Arbeit bis spät abends. Manchmal auch an den Wochenenden. Ich bin
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