Die Lanze Gottes (German Edition)
Janus kämpfte mit den Tränen, biss sich auf die Unterlippe. Ein Gefühl, als würde sein ganzer Körper brennen, überkam ihn. Er wollte einfach losrennen, doch etwas in seinem Inneren befahl ihm, stark zu bleiben, keine Schwäche zu zeigen. Bilder der Vergangenheit tauchten vor Janus auf und er hatte das Gefühl, seinen Vater zu sehen, als wäre er ebenfalls in Asbirgs Hütte. Janus wollte nicht glauben, dass er tot sein sollte. Das folgende Gespräch zwischen den Anwesenden nahm er nur wie durch einen Nebel wahr.
»Graf von Esken … tot?«, stammelte Gelsa.
»Wie ist es geschehen? Hat man ihn …?«, fragte Asbirg. »Nein«, wurde sie von Johannes unterbrochen, »er musste sich einem Gottesurteil stellen und über glühende Kohlen laufen. Die Wegstrecke war viel zu lang, sodass er keinerlei Aussicht hatte, es zu schaffen. Sein Gewand fing Feuer, er stürzte.« Johannes schluckte. »Ich hatte mich unter das Volk von Arnesberge gemischt, das dem Schauspiel beiwohnte. Graf Bernhard erhob sich und rief der Menge zu, dass Gott eine Entscheidung getroffen habe, dann gab er einem seiner Bogenschützen ein Zeichen. Es ging schnell!«
»Heilige Mutter Gottes!« Gelsa schlug die Hände vors Gesicht.
Asbirg schien die Einzige zu sein, die nicht die Ruhe verlor. Ihre schwarzen Augen blickten den Stallmeister forschend an. »Konntest du noch mit ihm reden?«
Janus hasste die Hagazussa dafür. Sein Vater war tot. Wie konnte sie nur so kühl bleiben?
Johannes´ Hände zitterten, als er Asbirg antwortete. »Nein, es ging alles viel zu schnell. Niemand wurde zu ihm gelassen. Er erblickte mich jedoch unter den Zuschauern und gab mir ein Zeichen, das ich hoffentlich richtig gedeutet habe.«
»Wie geht es nun weiter?« Asbirg verschränkte die Arme vor der Brust.
Johannes schüttelte hilflos den Kopf. »Die Männer des Grafen haben die gesamte Eskeburg nach Konstanze und Janus abgesucht. Schließlich gaben sie auf. Nach dem Tod von Siegmar konnte ich diesen Wilfried von Breyde beobachten. Er stritt mit dem Grafen von Werl. Es ging um Janus und Konstanze, glaube ich. Sie sind in Gefahr. Unter keinen Umständen dürfen wir sie dem Grafen ausliefern. Er ist zwar der gesetzliche Vormund, aber Wilfried von Breyde hat irgendein Interesse an den Kindern.«
»Was sollen wir dann tun?«, fragte Gelsa verzweifelt.
Johannes wandte sich wieder Asbirg zu. »Asbirg, ich bitte dich, Konstanze bei dir zu behalten. Sie ist noch sehr klein. Wenn du sie einige Monate versteckst, wird niemand mehr einen Verdacht schöpfen. Kaum jemand verläuft sich in deinen Wald. Hier ist etwas Geld, das mir Siegmar gegeben hat, falls dieser Tag eintreten sollte.« Johannes öffnete einen ledernen Beutel. »Ihr werdet damit in den nächsten Monaten keinen Hunger leiden müssen.« Dann wandte er sich Gelsa zu. »Ich bitte dich, für Konstanze zu sorgen und den Wald von Asbirg nicht zu verlassen.« Er schüttete die Münzen auf den kleinen Tisch in der Mitte des Raumes.
In diesem Moment konnte Janus das Geschehen nicht länger ertragen. Er hatte vor sich hingestarrt, seine Augen in die unendliche Leere blicken lassen, die sich vor seinem Gesicht auftat. Als die Münzen auf Asbirgs Tisch prasselten, kam das einem Glockenschlag gleich, der ihn aus seiner Starre weckte. Wut und Zorn vermischten sich mit unendlicher Trauer. Warum hatte sein Vater nicht gekämpft? Warum hatte er zugelassen, dass Janus und Konstanze jetzt hier bei der Hagazussa im Wald leben mussten?
Er trat auf Johannes zu. »Mein Vater war ein Teufelsanbeter und Gott hat ihn gerichtet. Er hat auch meine Mutter auf dem Gewissen. Der Medicus hätte ihr vielleicht helfen können! Und du, verfluchte Hagazussa, hast ihm dabei geholfen!« Hasserfüllt zeigte er mit seinem Finger auf Asbirg. Dann stürmte er vor und trat gegen ihren kleinen Tisch. Die Münzen klimperten auf dem Boden und der Tisch flog in die Ecke der Behausung.
Johannes kam auf Janus zu und fasste ihn am Arm, doch Asbirg mischte sich ein. »Lass ihn! Sein Schmerz muss heraus.«
Dann rannte Janus aus der Hütte. Immer tiefer in den Wald hinein. Doch hier gab es nichts, was ihm hätte helfen können. Er wollte einfach nur weg. Weg von der Hagazussa und Johannes, der ihn hierher gebracht hatte. Janus verstand das alles nicht. Bis vor Kurzem war seine Welt noch in Ordnung gewesen und plötzlich schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Er verfluchte den Tag, an dem seine Mutter ihm gesagt hatte, dass sie ein Kind erwartete.
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