Die Lanze Gottes (German Edition)
Damit hatte alles angefangen. Wäre Konstanze doch niemals geboren worden, seine Mutter würde noch leben.
Nach endlos langer Zeit des ziellosen Umherlaufens übermannte ihn die Müdigkeit, sodass er sich unter einen Baum legte. Er fror und war zu erschöpft, um weiterzugehen. Warum hatte Gott nicht auch ihn zu sich geholt? Warum war sein Vater einfach gegangen und hatte ihn im Stich gelassen? Er spürte Salz auf seiner Wange, verursacht durch zahllose Tränen, die sich ihren Weg bahnten. Niemand konnte ihn hier sehen und daher erlaubte er ihnen zu fließen, bis er keine mehr hatte. Schließlich schlief er ein.
Als er erwachte, war es dunkel. In einiger Entfernung prasselte ein Feuer, an dem Asbirg saß. Sie starrte in die Flammen. Janus wunderte sich, wie sie ihn gefunden hatte. Ihm erschien dieser Wald unendlich groß und er hatte befürchtet, niemals den Weg zu ihrer Hütte zurückzufinden. War sie ihm gefolgt? War Zauberei im Spiel?
Obwohl sie ihm den Rücken zuwandte, bemerkte Asbirg, dass er aufgewacht war, denn sie sagte: »Komm her und setz dich ans Feuer.«
Janus tat wie ihm geheißen und beobachtete diese stolze und unabhängige Frau, die er noch immer nicht einschätzen konnte. Was hatte sein Vater mit diesem Weib zu schaffen gehabt? Und warum half sie ihm? Janus wurde schlagartig bewusst, dass er nunmehr mit seiner kleinen Schwester alleine auf der Welt war. Die Familie von Esken existierte nicht mehr. Die Eskeburg war verloren. Er besaß nichts weiter als sein Leben.
Eine Weile schwiegen sie und starrten in die Flammen. Schließlich fing Asbirg an zu sprechen. »Mache deinem Vater Ehre, Graf Janus von Esken!«
»Warum nennst du mich so?«
»Weil du es für mich nunmehr bist. Dein Vater ist tot und irgendwann wirst du die Bestätigung deines Lehnsfürsten für das dir zustehende Erbe erhalten, auch wenn dieser Tag noch fern ist. Ich weiß es.«
»Doch ich sitze hier in deinem Zauberwald.«
»Dein Vater hätte gewollt, dass du dir euren Familienbesitz zurückholst, wenn du älter bist und die Zeit reif ist.«
»Mein Vater ist tot«, bemerkte Janus resignierend.
Asbirg schaute ihm in die Augen. »Jemand ist gekommen, der dich mitnehmen will. Er befindet sich in meiner Hütte, und ich kenne ihn gut. Ich habe oft mit ihm an dieser Stelle am Feuer gesessen und geredet. Er war ein guter Freund deines Vaters.«
»Mein Vater …«, bei dem Gedanken an seinen Vater empfand er nichts als Verachtung.
»Schweig!«, herrschte Asbirg ihn plötzlich an und ihre schwarzen Augen funkelten. »Du verstehst viele Dinge nicht und das kannst du auch gar nicht. Deshalb bin ich dir nicht gram. Aber dein Vater war einer der ehrenhaftesten Männer, die ich je kennengelernt habe. Also höre mir gut zu: Noch ein einziges verächtliches Wort und du wirst mich kennenlernen!« Dann stand sie auf und trat einen Schritt auf Janus zu. Sie ergriff sein Amulett mit ihrer Hand und umschloss es, dann blickte sie zum Himmel und rief laut: »Dorn!«
Unwillkürlich sprang Janus auf die Füße und trat einen Schritt zurück. Asbirg ging auf ihn zu und nahm seine Hand in die ihre. »Umschließe die Rune mit deiner Hand, Janus von Esken!« Verständnislos schüttelte Janus den Kopf, doch Asbirg schrie: »Tu es!«
Janus befürchtete, Asbirg würde sich vor seinen Augen in einen Dämon verwandeln. Sie griff an sein Kinn und drehte seinen Kopf so, dass er in ihre stechenden Augen blicken musste. Widerspruchslos und eingeschüchtert gehorchte er ihrem Befehl.
Sie nahm seine Hand, die die Rune umschloss, in ihre beiden Hände. »Du hast die innere Kraft, dich allem zu stellen, was deinen Weg kreuzt! Fürchte nichts und lass dich von niemanden abhalten, nach deinem Schicksal zu suchen!«
Janus fühlte, wie ein Schauer seinen Rücken hinablief, denn die gleichen Worte hatte er schon einmal gehört, von seinem Vater, damals in den Stallungen des Klosters.
Asbirg schloss ihn unvermittelt in ihre Arme und er begann zu weinen. Zum ersten Mal seit Langem fühlte Janus sich wieder sicher und geborgen. Asbirg drückte ihn an sich. »Ich weiß, dass dein Schmerz groß ist, Janus von Esken, aber du wirst ihn bewältigen. Eines Tages wirst du deine Besitztümer zurückerlangen und die Wahrheit erkennen. Die Wahrheit über die Welt und die Wahrheit über deinen Vater, und dann wird dein Urteil über ihn ein anderes sein.«
»Woher willst du das wissen?« Janus schluchzte und löste sich aus ihrer Umarmung.
»Die Runen haben es mir erzählt«,
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