Die Lanze Gottes (German Edition)
allem Anschein nach nicht lebendig verlassen. Selbst wenn es Johannes gelänge, einen Boten zu Kaiser Heinrich zu schicken, käme der viel zu spät zurück. Seine Feinde würden alles mit seiner angeblichen Häresie begründen. Und er selbst hatte durch die Zurschaustellung heidnischer Symbole und verschiedene Reden dazu beigetragen, dass seine Gegner ihn vernichten konnten. Der Werler hatte es seit jeher auf seinen Besitz abgesehen, da die Eskeburg an einer günstigen Stelle an der Rumia lag. Die dazugehörigen Ländereien waren nicht gerade klein und die Bauern brachten durch ihre Arbeit und den fruchtbaren Boden gutes Geld.
Siegmar versuchte, das Thema zu wechseln und Zeit zu gewinnen. »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Graf von Breyde. Das Lehen um die Eskeburg gehörte einst dem Kloster Werden, der Kaiser erwarb es und belehnte mich damit. Sehr zum Leidwesen des Grafen Bernhard von Werl, wie ich weiß. Steht Ihr in seinen Diensten?«
Wilfried hob seine Arme und schüttelte den Kopf. »Bei Gott, was interessiert mich Euer Zwist mit diesem trotteligen Werler Grafen?« Dann blickte er ihn scharf an. »Ich will wissen, was Ihr über die Heilige Lanze herausgefunden habt!«
Siegmar hielt dem Blick stand. Nun war er sicher: Hier waren mächtigere Menschen am Werk, als ein Dorfpriester und ein Medicus, samt eines gierigen Werler Grafen. Vermutlich steckte Rudolf dahinter. Es gab wohl niemanden im ganzen Reich, der ihn so hasste, wie der Rheinfeldener. Siegmar konnte lediglich versuchen, seine Kinder und den Kaiser zu schützen. »Wenn ich Euch sage, was ich herausgefunden habe, werdet Ihr meine Kinder dann in Ruhe lassen?«
»Ja, Ihr habt mein Wort!«
»Schwört es bei der Heiligen Jungfrau Maria!«
Wilfried hob die Hand. »Ich schwöre!«
Siegmar überlegte, was er seinem Peiniger erzählen sollte. In seinem Kopf arbeitete es. Er spürte Schweiß den Nacken herunterlaufen. Er musste von Breyde überzeugen, wenn er ihn schon nicht erschlagen konnte.
»Es stimmt, ich hielt mich oft in der Abtei Werden auf, sprach mit einigen Novizen. Einer von ihnen erzählte mir von einem Kodex. Er wurde im Jahre 824 von einem Mönch namens Jared, der sich auf Wanderschaft befand, verfasst und enthält angeblich geheimes Wissen über die Heilige Lanze. Ich sprach mehrmals beim Abt vor. Es wurde mir jedoch nicht erlaubt, die Bibliothek zu betreten, aber ich glaube, dass sich der Kodex dort befindet. Sein Inhalt könnte für den Kaiser sehr gefährlich werden.«
Siegmar war selbst erstaunt, wie er Wahrheit und Dichtung zu einer glaubwürdigen Geschichte vermischt hatte. Er schloss mit den Worten: »Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß, und mein
Versprechen gehalten. Haltet Eures ebenso und lasst die Finger von meinem Sohn, Wilfried von Breyde, sonst seid Ihr es, der Bekanntschaft mit dem Teufel macht, nicht ich!«
Der Ritter kratzte sich am Kinn und überlegte. Dann drehte er sich zur Leiter. »Lebt wohl, Graf von Esken. Ich lasse Euch die Fackel hier. Möge sie Eure Dunkelheit noch ein wenig erhellen, denn viel werdet Ihr nicht mehr sehen vom Licht dieser Welt.«
V
Johannes brachte Janus, Konstanze und die Amme Gelsa zu Asbirg ins Waldgebiet Chlusingen. Als sie vor der kleinen Hütte standen, reichte Johannes ihm die Hand.
»Es wird alles gut, Junge, du wirst sehn!«
Janus schaute ihn an und konnte in seinem Gesicht lesen, dass Johannes selbst nicht so recht an die Worte glaubte. Asbirg stand in der offenen Hüttentür und nickte ihnen zu.
Noch in derselben Nacht brach Johannes wieder auf, ohne Janus zu sagen, wo er hinwollte.
Die Hagazussa kümmerte sich gut um Janus und seine Schwester. Ihre kleine Hütte bot kaum Platz für mehr als zwei Menschen, aber Janus wagte nicht das anzusprechen, denn er war froh, dass außer Gelsa noch jemand für sie da war.
In den folgenden Tagen beobachtete er Asbirg, die still ihrem Tagewerk nachging und ihm manchmal zunickte. So verlor er nach und nach seine Furcht vor der Hagazussa. Ihm wurde klar, Asbirg war kein übernatürliches, vom Teufel geschicktes Wesen, sondern ein Mensch wie er.
Es dauerte zwei Wochen bis Johannes zurückkehrte. Er betrat Asbirgs kleine Hütte und sank auf einen Schemel. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Dann schaute er Janus mit müden Augen an. »Komm her zu mir, Janus. Du musst jetzt sehr stark sein.«
Janus spürte, wie ein Zittern durch seinen Körper ging.
Johannes senkte den Blick. »Dein Vater ist tot.«
Trauer mischte sich mit Zorn und
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