Die Lanze Gottes (German Edition)
auch nichts von seiner Schwester oder von Asbirg.
Es war Mittag und die Sonne stand hoch am Himmel. Janus ritt eine Weile an der Rumia entlang, dann tauchte sie plötzlich auf: Die Burg seiner Familie. Sein Besitz. Sie sah genauso aus wie an dem Tag als er sie verlassen hatte. Für einen Moment glaubte er, jemand habe die Zeit zurückgedreht und konnte es nicht fassen. In wie vielen Nächten hatte er von diesem Bild geträumt? Doch das hier war kein Traum. Sehr schnell kamen die Bilder seiner Kindheit zurück. Eine Weile blickte er sehnsüchtig zur Eskeburg hinauf, dann ritt er weiter, merkte, wie die Mittagshitze ihm den Schweiß aus den Poren trieb, und wischte sich über die Stirn. Er verspürte keine besonders große Lust darauf, auf seinem eigenen Besitz Gast zu sein, und erst recht nicht, sich anzusehen, wer denn nun in den Gemächern wohnte, die früher einmal die seinen gewesen waren. Langsam durchritt er das Oberdorf Richtung Chlusingen. Hinter der nächsten Biegung musste Asbirgs Hütte sein, wenn sie überhaupt noch stand. Janus stieg vom Pferd, nahm es an den Zügeln und schlenderte um die Biegung. In der Tat stand die Behausung noch genauso da, wie er sie vor Jahren mit Ulrich verlassen hatte. Plötzlich öffnete sich die Tür. Hinaus trat eine junge Frau. Ihre blauen Augen musterten ihn scheu und ihre langen schwarzen Haare umrahmten ein wunderschönes Gesicht mit vollen Lippen. Sie schwang gekonnt ein Kopftuch um ihr Haupt, dann wandte sie sich ab. Janus glaubte, seine Mutter vor sich zu sehen. Konnte das sein? War das Konstanze? Seine Schwester? Dem Alter nach hätte sie es sein können, dem Aussehen nach auch, obwohl er sie zuletzt gesehen hatte, als sie noch ein Säugling war. Die junge Frau ging zum Stapelholz, nahm ein paar Scheite und wollte sie herein tragen. Janus ging auf sie zu und betrachtete sie. Sie blieb abrupt stehen und erwiderte seinen Blick. Er verspürte ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Verwunderung und Furcht. »Habt Ihr Euch verlaufen, edler Herr? Sucht Ihr jemanden?«
Sie lächelte und das erinnerte ihn an seine Mutter. »Seid Ihr Konstanze von Esken?« Die junge Frau erschrak, ließ das Holz fallen und rannte in die Hütte. Janus hörte, wie sie die Tür von innen verschloss. Er band sein Pferd an einen Baum. Dann ging er zur Hütte und klopfte. »Bitte, macht auf, sagt mir, ob Ihr Konstanze von Esken seid, oder ob Ihr sie kennt!«
»Geht! Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!«
Was war er für ein Tor. Wie konnte er davon ausgehen, dass sie ihn erkannte? Und sicher hatte Asbirg ihr eingebläut, ihren Namen nicht preiszugeben.
»Wer seid Ihr?«, fragte eine Stimme hinter der Tür.
»Janus von Esken!«
Unvermittelt wurde die Tür geöffnet und eine alte Frau trat hinaus. Janus erkannte Asbirg sofort wieder. Sie ging leicht gekrümmt an einem Stock und hinter ihr trat die junge Frau ins Freie. Asbirg kam auf ihn zu, musterte Janus mit ihren stechend, schwarzen Augen und strich mit einer Hand sanft über sein Gesicht. »Bei allen Göttern! Das ist ein Wunder! Ihr seid es tatsächlich, junger Graf!« Dann drehte sie sich zu den Mädchen um. »Konstanze, das hier ist dein Bruder Janus.«
Ungläubig schaute ihn Konstanze an und eine Träne rann über ihr Gesicht. Janus wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Etwas sagen? Ihr die Hand reichen? Konstanze wischte sich die Träne mit ihrem Gewand aus dem Gesicht. Dann kniff sie ihre Augen leicht zusammen und musterte ihn.
Was hatte er erwartet? Nach siebzehn Jahren einfach so hier aufzutauchen. Seine Schwester kannte ihn ebenso wenig wie er sie. Asbirg nahm plötzlich Konstanzes Hand und legte sie in die seine. Dann wanderten ihre Augen zwischen den beiden hin und her und sie sprach: »Ihr habt die innere Kraft, euch allem zu stellen, was euren Weg kreuzt. Fürchtet nichts und lasst euch von niemandem abhalten, nach eurem Schicksal zu suchen!«
Janus fasste unter sein Gewand und holte sein Amulett hervor. Konstanze beobachtete ihn und tat es ihm schließlich gleich. Auch sie besaß die Rune mit dem Namen Dorn. Dann konnte er nicht anders als seine Schwester zu umarmen. Janus fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben wieder zu Hause. Lange standen sie so da und hielten sich fest, unfähig etwas zu sagen.
Asbirg ließ sie gewähren und nach einer ganzen Weile nahm sie beide an der Hand und sagte: »Kommt hinein.«
Janus blieb bis in den frühen Nachmittag, denn es gab viel zu erzählen. Asbirg berichtete ihm von der
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