Die Larve
Manglerud, und dieses Mal war Truls Berntsen zu Hause.
Er starrte mich skeptisch an, während ich ihm alles erklärte, aber Sorgen machte ich mir keine. Dafür war sein Blick zu eindeutig. Seine Gier. Wieder einer, der eine Entschädigung für sein Leben einfordert, der unerschütterlich daran glaubt, mit Geld eine Medizin gegen die Verzweiflung kaufen zu können, gegen die Einsamkeit, die Verbitterung. Dass es nicht bloß so etwas wie Gerechtigkeit gibt, sondern dass man sich diese auch kaufen kann, sozusagen von der Stange. Ich sagte, wir bräuchten seine Expertise, um keine Spuren zu hinterlassen, die die Polizei finden könnte, und natürlich jemanden, der hinter uns aufräumte und den Verdacht nötigenfalls auf jemand anderen lenkte, sollte doch irgendetwas gefunden werden. Und dass wir uns fünf der zwanzig Kilo holen wollten, aus denen die Lieferung bestand. Jeweils zwei für mich und ihn, und eins für Oleg. Ich sah ihm an, dass er die Rechenaufgabe schon selbst gelöst hatte: eins Komma zwei Millionen mal zwei, das machte zwei Komma vier Millionen für ihn.
»Und du hast darüber nur mit diesem Oleg gesprochen? Mit niemandem sonst?«, fragte er.
»Mit niemandem, hundertpro.«
»Habt ihr Waffen?«
»Wir teilen uns eine Odessa.«
»Eine was?«
»So eine H&M-Version einer Stetsjin.«
»Okay. Vermutlich werden sich die Drogenfahnder keine Gedanken über die Anzahl der Kilos machen, solange es keine Einbruchsspuren gibt, aber du hast Schiss, dass Odin weiß, wie viel es wirklich war, und sich an dir rächt?«
»Nein«, sagte ich. »Odin ist mir scheißegal. Ich habe Angst vor meinem Chef. Ich hab keine Ahnung, woher er seine Infos hat, aber ich bin mir sicher, dass er den Umfang der Lieferung aufs Gramm genau kennt.«
»Ich will die Hälfte«, sagte er. »Den Rest kannst du dir dann mit Boris teilen.«
»Oleg.«
»Freu dich lieber, dass ich so ein schlechtes Gedächtnis habe. Und dazu rate ich euch übrigens auch. Ich brauche höchstens einen halben Tag, um euch zu finden, und es kostet mich keine fünf Øre, euch die Lichter auszublasen.« Das letzte Wort zog er betont in die Länge.
Es war schließlich Oleg, dem die Idee kam, wie wir den Raub vertuschen konnten. Sein Plan war so einfach und einleuchtend, dass ich nicht kapiere, wieso ich nicht selbst darauf gekommen war.
»Warum ersetzen wir das Zeug, das wir mitnehmen, nicht einfach durch Kartoffelmehl? Die Polizei hält doch bloß die Menge in Kilo fest, nicht den Reinheitsgrad, oder?«
Der Plan war, wie gesagt, ebenso einfach wie genial.
An dem Abend, an dem Odin und der Alte ihre Geburtstagsparty bei McDonald’s feierten und den Preis von Violin in Drammen und Lillestrøm besprachen, standen Berntsen, Oleg und ich draußen vor dem dunklen MC-Clubheim in Alnabru. Berntsen hatte die Regie übernommen. Wir trugen Nylonstrümpfe, schwarze Jacken und Handschuhe und hatten in unseren Rucksäcken Waffen, Bohrer, Schraubenzieher, Brecheisen und sechs Kilo in Plastiktüten verpacktes Kartoffelmehl. Oleg und ich hatten Berntsen beschrieben, wo die Los Lobos ihre Überwachungskameras hatten. Wenn wir seitlich über den Zaun stiegen und uns dann an der Rückwand des Hauses entlangschlichen, bewegten wir uns die ganze Zeit über in einem toten Winkel. Lärm machen konnten wir, so viel wir wollten, denn direkt nebenan donnerte der Schwerverkehr auf der E6 vorbei. Berntsen setzte dann auch direkt den Bohrer an der Holzwand an und legte los, während Oleg und ich Schmiere standen und ich Been Caught Stealing vor mich hin summte. Ein Song, der auf dem Soundtrack von Steins GTA-Spiel war. Er meinte, es sei von einer Band namens Jane’s Addiction, ein Name, der so cool ist, dass ich ihn in Erinnerung behalten habe, eigentlich cooler als der Song selbst. Oleg und ich waren auf vertrautem Gelände, wir wussten, dass es einfach war, sich einen Überblick über den MC-Club zu verschaffen, der genau genommen nur aus einem großen Raum bestand. Aber da alle Fenster sinnigerweise mit Fensterläden verriegelt waren, wollten wir erst ein Guckloch in die Wand bohren, um sicherzugehen, dass wirklich niemand da war. Berntsen hatte darauf bestanden, er wollte einfach nicht glauben, dass Odin zwanzig Kilo Heroin mit einem Straßenwert von 25 Mille einfach unbewacht in einem Schuppen ließ. Wir kannten Odin besser, aber okay, safety first .
»So«, sagte Berntsen und zog den Bohrer zu sich heraus, der mit einem trockenen Fauchen erstarrte.
Ich legte das Auge an das Loch.
Weitere Kostenlose Bücher