Die Larve
sein, durfte er niemandem in die Augen sehen. Er musste gehen, gehen und frei sein.
Er trat einen Schritt zurück und stellte sich erneut auf. Holte tief Luft. Visualisierte. Atmete aus. Trat vor und sah die Klinge matt und angenehm glänzen wie ein kostbares Schmuckstück.
Kapitel 6
B eate und Harry traten nach draußen auf die Hausmanns gate, bogen nach links ab und umrundeten das Gebäude, indem sie über das nach dem Brand noch immer unbebaute Grundstück liefen. Der Boden lag voller rußiger Scherben und verkohlter Steine. Hinter der Häuserreihe führte eine verwilderte Böschung hinunter zum Fluss. Harry fiel auf, dass es auf der Rückseite des Hauses keine Türen gab, der einzige Fluchtweg war eine schmale Feuertreppe, die von der obersten Etage nach unten führte.
»Wer wohnt da oben auf derselben Etage in der Nachbarwohnung?«, fragte Harry.
»Niemand«, antwortete Beate. »Das sind leerstehende Büros. Die ehemaligen Redaktionsräume von Anarcho , einer kleinen Zeitschrift, die …«
»Ich weiß. Das war kein schlechtes Fanzine. Die Leute sitzen heute in den Kulturredaktionen der großen Zeitungen. Waren die Räume verschlossen?«
»Aufgebrochen. Vermutlich schon lange.«
Harry sah zu Beate, die etwas resigniert, aber bestätigend nickte. Harry brauchte nicht zu sagen, dass jemand in Olegs Wohnung gewesen sein und auf diesem Weg das Haus verlassen haben könnte. Strohhalm.
Sie gingen zu dem Weg hinunter, der am Akerselva entlangführte. Der Fluss war nicht breit. Für einen Jungen, der nur einigermaßen werfen konnte, war es sicher möglich, eine Waffe bis hinüber auf die andere Seite zu schleudern, dachte Harry.
»Solange ihr die Waffe nicht gefunden habt …«, sagte Harry.
»Der Staatsanwalt braucht die Waffe nicht, Harry.«
Er nickte. Die Schmauchspuren an der Hand. Die Zeugen, die ihn mit der Pistole gesehen haben. Die DNA auf dem Toten.
Vor ihnen, an einer Eisenbank, lehnten zwei weiße Jugendliche mit grauen Kapuzenshirts. Sie sahen zu ihnen her, steckten die Köpfe zusammen und schlurften dann langsam von ihnen davon.
»Sieht aus, als riechen die Dealer noch immer den Polizisten in dir, Harry.«
»Hm, ich dachte, hier würden nur die Marokkaner ihr Hasch verkaufen?«
»Die haben Konkurrenz bekommen. Kosovo-Albaner, Somalier, Osteuropäer. Asylsuchende, die das ganze Spektrum anbieten. Speed. Methamphetamin. Ecstasy, Morphium.«
»Heroin.«
»Das bezweifle ich. Normales Heroin ist in Oslo ziemlich rar geworden. Alle wollen nur noch Violin, und das kriegt man bloß rings um die Plata. Vorausgesetzt, du willst dafür nicht nach Göteborg oder Kopenhagen, da soll dieses Zeug in der letzten Zeit nämlich auch aufgetaucht sein.«
»Ich höre ständig von diesem Violin, was ist denn das?«
»Eine neue synthetische Droge. Nicht so atmungshemmend wie das herkömmliche Heroin, es macht zwar dein Leben kaputt, führt aber nicht so schnell zu Überdosen. Das Zeug hat ein extremes Suchtpotential, jeder, der das mal ausprobiert hat, will mehr. Es ist aber so teuer, dass sich das nicht alle leisten können.«
»Und die kaufen stattdessen dann andere Drogen?«
»Bonanza für Morphium.«
»Auch nicht besser.«
Beate schüttelte den Kopf. »Es geht um den Krieg gegen das Heroin. Und den hat er gewonnen.«
»Bellman?«
»Du hast davon gehört?«
»Hagen hat mir gesagt, dass Bellman die meisten Heroin-Gangs eingesackt hat.«
»Die Pakistaner und Vietnamesen sind verschwunden. Das Dagbladet hat ihn in einem Artikel als General Rommel bezeichnet, nachdem er auch ein Riesennetzwerk aus Nordafrikanern ausgehoben hatte. Und die MC -Gangs aus Alnabru sind weg. Die sitzen alle hinter Schloss und Riegel.«
» MC ? Zu meiner Zeit verkauften die Motorradjungs nur Speed und scheuten das Heroin wie die Pest.«
»Los Lobos. Hells Angels wannabes . Wir glauben, dass die eine von nur zwei Gruppen waren, die dieses Violin vertickt haben. Aber die hat man alle bei einer konzertierten Festnahme und einer nachfolgenden Massenrazzia in Alnabru geschnappt. Du hättest Bellmans Grinsen in den Zeitungen sehen sollen. Er war persönlich vor Ort, als die Aktion lief.«
» Let’s do some good? «
Beate lachte. Das war das andere, was ihm an ihr gefiel. Sie war ein Filmnerd und kam mit, wenn er irgendwelche blöden Zitate brachte. Harry bot ihr eine Zigarette an, die sie aber ablehnte. Er zündete sich eine an.
»Hm. Und wie hat Bellman schaffen können, was die Drogenfahndung in all den Jahren, in denen ich
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