Die Larve
meine, Papa, da gibt es nichts zu lachen. Wir verkauften wie die Blöden, und das von morgens bis abends. Zehntelgramm, Viertelgramm, grammweise, ja manchmal sogar fünf Gramm auf einmal. Das Zentrum stand kopf. Und dann hoben wir den Preis an. Die Schlange wurde aber nur noch länger. Dann hoben wir den Preis wieder an, ohne sichtbaren Effekt. Erst als wir zum dritten Mal an der Geldschraube drehten, brach die Hölle los.
Eine Gang Kosovo-Albaner raubte unser Team hinter der Börse aus, zwei Brüder aus Estland, die ohne Späher operierten. Sie hatten gegen die Albaner, die mit Baseballschlägern und Schlagringen angerückt waren, keine Chance. Den beiden wurden das Geld und die Drogen abgenommen, und dann zertrümmerten die Albaner einem von ihnen noch die Hüfte. Zwei Abende später schlug eine vietnamesische Gang in der Prinsens gate zu. Zehn Minuten bevor Andrej und Peter die Tageseinnahmen abholen wollten. Sie überfielen den Geldmann, ohne dass Dopemann und Späher etwas davon bemerkten. Wir waren echt ratlos, und es breitete sich so eine Scheiß-»Was nun?«-Stimmung aus.
Zwei Tage später war diese Frage dann beantwortet worden.
Alle, die an diesem Morgen früh zur Arbeit fuhren, konnten den Gelben noch unter der Sannerbrücke baumeln sehen, bevor die Bullen kamen. Er trug eine Zwangsjacke – wie ein Verrückter – und hatte einen Knebel im Mund. Das Seil an seinen Knöcheln war so lang, dass er den Kopf gerade so über der Wasseroberfläche halten konnte. Vorausgesetzt, seine Bauchmuskeln machten nicht schlapp, aber allem Anschein nach hatten sie genau das irgendwann getan.
Am selben Abend bekamen Oleg und ich eine Knarre von Andrej. So ein russisches Ding. Andrej schien nur Sachen zu vertrauen, die aus Russland kamen. Er rauchte schwarze, russische Zigaretten, telefonierte mit einem russischen Handy (echt, ich mache keine Witze, Papa. Ein Gresso, so ein teures Luxusteil mit afrikanischem Holz, aber sicher trotzdem wasserdicht. Das Ding sandte keine Signale aus, wenn es nicht eingeschaltet war, damit die Bullen ihn nicht aufspüren konnten), und er schwor auf russische Pistolen. Andrej erklärte uns, diese Waffe sei eine Odessa, die Billigversion einer Stetsjin, als hätten wir jemals zuvor von diesen Dingern gehört. Aber egal, das Besondere daran war, dass die ganze Salven abfeuern konnten. Das Magazin fasste zwanzig Kugeln des Kalibers Malakov, 9 × 18 mm, das war das gleiche Kaliber, das auch Andrej und Peter und einige der anderen Dealer nutzten. Wir bekamen eine Packung Patronen für uns beide, und dann zeigte er uns noch, wie wir diese seltsam unförmige Pistole luden, entsicherten und abfeuerten. Wir sollten sie mit beiden Händen halten und etwas tiefer zielen, als wir es für richtig hielten. Außerdem sollten wir nicht auf den Kopf zielen, sondern lieber auf den Oberkörper. Wenn wir den kleinen Hebel links an der Waffe auf C stellten, schoss das Ding Salven. Dann reichte es aus, auf den Auslöser zu tippen, um drei oder vier Schüsse abzufeuern. Er meinte aber, dass es in neun von zehn Fällen ausreichte, das Ding zu zeigen. Nachdem er gegangen war, meinte Oleg, die Pistole sehe aus wie die Knarre auf dem Cover irgendeiner Foo-Fighters-Platte und dass er ganz sicher nicht vorhabe, jemals jemanden zu erschießen. Er meinte, wir sollten das Ding in den Müll werfen. Ich hab dann die Pistole an mich genommen.
Die Zeitungen liefen Amok. Schlagzeile auf Schlagzeile über Bandenkrieg, blood in the streets , Zustände wie in L. A., und so weiter und so fort. Politiker von Parteien, die nicht im Senat saßen, klagten über die falsche Innenpolitik, die ohnmächtige Polizei, den mangelhaften Umgang mit Drogen, den Bürgermeister, ja den kompletten Scheißsenat. Die ganze Stadt sei eine Katastrophe, meinte ein Verrückter von der Zentrumspartei und schlug vor, Oslo von der Karte zu streichen, da diese Stadt eine Schande für das ganze Vaterland sei. Die übelste Schelte bekam die Polizeipräsidentin ab, aber die Scheiße rutschte wie gewöhnlich nach unten, und nachdem ein Somalier zwei Stammesgenossen am helllichten Tage mitten auf der Plata erschossen hatte, ohne gefasst zu werden, musste dann der Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität seinen Hut nehmen.
Die Innensenatorin, die auch zuständig für die Polizei war, meinte, Kriminalität, Drogen und Polizei seien eigentlich Staatsangelegenheiten, sie erachte es aber trotzdem als ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Bürger
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