Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
der Stadt frei und sicher auf allen Straßen bewegen konnten. Es gab auch ein Foto von ihr – und hinter ihr stand ihre Mitarbeiterin, meine alte Bekannte, die MILF ohne M. Sie sah seriös und megageschäftsmäßig aus. Ich sah aber nur eine geile Tussi mit heruntergelassener Reithose.
    Eines Abends kam Andrej früher, sagte, wir sollten Schluss machen und dass ich mit nach Blindern kommen sollte.
    Als er am Grundstück des Alten vorbeifuhr, begann ich, ziemlich unangenehme Gedanken zu denken. Doch dann bog Andrej zum Glück in das Nachbargrundstück ein, das dem Alten, wie er gesagt hatte, ja auch gehörte. Andrej begleitete mich hinein. Das Haus war nicht so leer, wie es von außen wirkte. Trotz der zerbrochenen Fenster und der abblätternden Farbe waren die Räume möbliert und warm. Der Alte saß in einer Art Bibliothek mit Bücherregalen bis unter die Decke. Aus zwei großen Lautsprechern kam klassische Musik. Ich setzte mich in den einzigen anderen Sessel im Raum, und Andrej verließ das Zimmer und schloss die Tür.
    »Ich würde dich gerne um etwas bitten, Gusto«, sagte der Alte und legte seine Hand auf mein Knie.
    Ich sah zu der geschlossenen Tür hinüber.
    »Wir sind im Krieg«, sagte er, stand auf, trat an ein Regal und zog ein dickes Buch mit einem fleckigen, braunen Umschlag heraus. »Dieser Text ist sechshundert Jahre vor Christi Geburt geschrieben worden. Ich kann kein Chinesisch und habe nur diese mehr als zweihundert Jahre alte französische Übersetzung, die ein Jesuit namens Jean Joseph Marie Amiot angefertigt hat. Ich habe das Buch auf einer Auktion gekauft, nachdem ich für hundertneunzigtausend Kronen den Zuschlag bekommen hatte. In diesem Buch geht es darum, wie man seinen Feind im Krieg täuschen kann. Was dieses Thema angeht, ist kein Buch häufiger zitiert worden. Für Stalin wie auch für Hitler oder Bruce Lee war dieses Buch so etwas wie eine Bibel. Aber weißt du was?« Er schob das Buch wieder zurück ins Regal und nahm ein anderes heraus. »Ich ziehe das hier vor.« Er warf mir das Buch zu.
    Es war dünn und hatte einen glänzend blauen Umschlag. Es schien recht neu zu sein. Auf dem Umschlag las ich: »Schach für Anfänger«.
    »Sechzig Kronen im modernen Antiquariat«, sagte der Alte. »Wir müssen eine Rochade machen.«
    »Eine Rochade?«
    »Einen Doppelzug, um den König in eine sichere Position zu bringen und durch den Turm zu schützen. Wir müssen eine Allianz eingehen.«
    »Mit einem Turm?«
    »Wie wäre es mit dem Rathausturm?«
    Ich dachte nach.
    »Der Senat«, sagte der Alte. »Die Innensenatorin hat eine Mitarbeiterin namens Isabelle Skøyen. Sie ist die eigentlich Zuständige für die Drogenpolitik der Stadt. Ich habe sie überprüfen lassen, und sie ist perfekt. Intelligent, effizient und extrem ambitioniert. Dass sie auf der Karriereleiter noch nicht weiter nach oben geklettert ist, hat sie wohl ihrem Lebensstil zuzuschreiben. Laut meinem Informanten lauern da einige Skandale. Sie feiert gerne Partys, sagt klar und deutlich, was sie will, und soll ständig wechselnde Liebschaften haben.«
    »Hört sich ja ganz schlimm an«, sagte ich.
    Der Alte sah mich warnend an, bevor er fortfuhr: »Ihr Vater war der Vorsitzende der Zentrumspartei, schaffte es aber nie in die Landespolitik, irgendwie ist er übergangen worden. Mein Informant sagt, Isabelle habe seinen Traum übernommen und habe deshalb auch die kleine Bauernpartei ihres Vaters zugunsten der Arbeiterpartei verlassen. Mit anderen Worten: Alles an Isabelle Skøyen ist flexibel und lässt sich ihren Ambitionen unterordnen. Außerdem lastet auf ihrem Familienbesitz eine nicht unerhebliche Hypothek, die sie alleine abbezahlen muss.«
    »Was tun wir also?«, fragte ich, als wäre ich selbst ein Mitglied der Violin-Regierung.
    Der Alte lächelte, als fände er das charmant. »Wir zwingen sie an den Verhandlungstisch, wo wir sie zu einer Allianz verführen. Und du bist unser Mittel zum Zweck, Gusto. Du sollst sie überzeugen. Deshalb bist du hier.«
    »Ich? Eine Politikerin?«
    »Genau. Eine Politikerin, mit der du kopuliert hast, Gusto. Eine Mitarbeiterin des Senats, die ihre Position genutzt hat, um einen Minderjährigen mit großen sozialen Problemen sexuell auszunutzen.«
    Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte, bis er eine Fotografie aus seiner Jackentasche zog und vor mir auf den Tisch legte. Das Bild schien durch eine getönte Scheibe hindurch aufgenommen worden zu sein. Es war eine Aufnahme aus der Tollbugata und

Weitere Kostenlose Bücher