Die Launen des Teufels
Schwester Adelheid schnürte ihr die Kehle zu. Zitternd vor Kälte bemühte sich die Begine, die ein Eimer kalten Wassers wieder zu Bewusstsein gebracht hatte, ihre Todesfurcht vor dem Pöbel zu verbergen. Doch wie Anabel wusste auch sie, dass es bei diesem sogenannten Gottesurteil nur einen Ausgang geben konnte. Gelang es dem Angeklagten, sich von den Fesseln zu befreien, nachdem er ins Wasser gestoßen worden war, galt seine Schuld als bewiesen. Denn Gott – so behaupteten Männer wie Henricus – hatte durch die Taufe Jesu das Wasser geheiligt, weshalb es die Sünder abstieß. Daher wurde der Beschuldigte in den seltenen Fällen, in denen er nicht ertrank, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Gelang es ihm andererseits nicht, sich zu befreien und wieder aufzutauchen, galt dies als Beweis seiner Unschuld, und ihm wurde ein christliches Begräbnis zuteil.
Taub vor Erschütterung krallte Anabel die Finger ineinander, während Henricus mit dem Sack hantierte, den die Wache ihm gereicht hatte. »Dieses Tier hat sich desselben Verbrechens schuldig gemacht und muss ebenso von der Sünde gereinigt werden.« Damit schleuderte er den Kater auf das Podest, wo er ebenfalls gefesselt und an Schwester Adelheid befestigt wurde. »Der Herr soll entscheiden!«
Unter dem immer weiter anschwellenden Gebrüll der Gaffer packte einer der Bewaffneten die Begine, schulterte ihren nackten Körper und stieß diesen mit voller Kraft in die Fluten, wo er umgehend versank. Mit angehaltenem Atem und hämmerndem Herzen verfolgte Anabel, wie kleine Luftblasen an der Stelle aufstiegen, an der Adelheid Greck von den Fluten der Donau verschluckt worden war, doch als diese kurze Zeit später abrissen, war ihr klar, was dies bedeutete. Wie gebannt starrten die Männer und Frauen auf den kleinen Strudel, und erst als Henricus nach mehreren Minuten den Stadtwachen ein Zeichen gab, den Leichnam mit langen Stöcken zu bergen, setzte ein empörtes Tuscheln ein.
»Ihre Seele ist geläutert«, verkündete der Abt pompös und wandte sich ohne weitere Worte ab, um zurück in Richtung Stadtmauer zu eilen, wo er kurz darauf durch das Herdbruckertor verschwand.
»Sie war unschuldig«, wisperte eine Stimme dicht an Anabels Ohr, zu der sich gleich darauf weitere gesellten.
»Wenn das die Taten der Männer Gottes sind, braucht man sich nicht vor dem Teufel zu fürchten.«
»Führe nicht solch lästerliche Reden!«, zischte jemand, und bevor Anabel richtig begriffen hatte, dass Schwester Adelheid nicht mit ins Hospital zurückkehren würde, wurde sie von den erzürnten Schaulustigen zurück in die Stadt gedrängt.
»Wer gibt ihnen das Recht?«, forderte ein kehliger Bass zu wissen, dem ein etwas höherer Bariton entgegenhielt: »Sie sind die Vertreter Gottes. Sie wissen, was sie tun.«
»Offensichtlich nicht!«, schnaubte ein anderer Zuschauer, der erbittert feststellte: »Eine der selbstlosen Schwestern einer solchen Tat zu beschuldigen! Bald ist niemand mehr vor ihm sicher!«
Innerlich vibrierend ließ sich Anabel blind durch die Gassen bugsieren, bis sich die Menge am Marktplatz zerstreute, wo ihr unverhofft eine wohlbekannte Stimme ins Ohr raunte: »Da kann ich wohl von Glück sagen, dass er seine Klauen nicht in mich geschlagen hat.«
Mit einem erstaunten Laut wirbelte sie herum und blickte in ein ernstes, von einer reich bestickten Haube umrahmtes Gesicht, das sich mit einem schwachen Lächeln erhellte.
»Vren!«, stieß sie ungläubig hervor, und trotz der Kälte, die sie ausfüllte, stieg ein Gefühl der Erleichterung in ihr auf. »Vren«, wiederholte sie und ließ den Blick an der auffällig modischen Erscheinung der Freundin entlangwandern. Neben der protzigen Haube fielen die sorgfältig gezupften Brauen und künstlich geröteten Wangen, sowie das tief ausgeschnittene Barchentgewand und eine lange Schleppe auf.
Die Verwunderung über die Erscheinung der Bäckerstochter ließ Anabel einen Augenblick ihre Trauer vergessen, und Vren in die Arme schließen.
»Wie ich diesen Mann hasse!«, zischte die junge Frau, bevor sie sich bei Anabel unterhakte und diese auf den Stadtbrunnen zuzog.
»Wie ist es dir ergangen?«, fragte Anabel schließlich mit einem Seitenblick auf Vrens kostbare Gewänder, woraufhin diese ein freudloses Lachen ausstieß.
»Ich bin jetzt die ehrenwerte Gemahlin eines Ratsmitgliedes«, sagte sie säuerlich und strich geistesabwesend über einen der weiten, mit Perlen bestickten Ärmel. »Sehr gewichtig und einflussreich.«
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