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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Läden verschlossenen Fenstern noch tiefe Dunkelheit lag. In dem Teil der Gaststube, in dem das Essen serviert wurde, drängten sich Männer, Frauen und Kinder um die wenigen Tische, um den faden Brei hinunterzuschlingen, den der Wirt seinen Gästen bei jeder Mahlzeit vorzusetzen schien. Lediglich aus einem der schmalen Bettkästen zu ihrer Linken drangen noch grunzende Laute der Lust. Doch ansonsten waren die meisten der Herbergsgäste ängstlich darauf bedacht, den Zug nicht zu verpassen. Nachdem Bertram und sie am Vorabend das Umland von Hechingen erreicht hatten, hatten sie sich erschöpft, aber erleichtert in einer der zahllosen Herbergen eingemietet, welche die breite Reichsstraße säumten. Sobald sie die Grenze der Grafschaft Zollern überschritten hatten, war Anabel ein Stein vom Herzen gefallen, da mit der räumlichen Distanz zu Württemberg auch die Wahrscheinlichkeit wuchs, unentdeckt zu entkommen. Entgegen ihrer ursprünglichen Pläne hatten sie beschlossen, sich auf diesem Weg in Richtung Westen zu wenden, um in Straßburg ihr Glück zu versuchen. Da sie in den ersten Tagen ihrer Reise nicht nur an abgebrannten und geplünderten Gehöften, sondern auch an ausgestorbenen Dörfern und halb zerfallenen Abteien vorbeigekommen waren, hatten sie schon bald die Suche nach einer Einsiedlerabtei aufgegeben. Niemand schien der Wut der von der Seuche aufgestachelten Plünderer die Stirn bieten zu können, was auch der Grund war, warum sie und Bertram sich ebenfalls der Gruppe französischer, deutscher und italienischer Händler anschließen wollten. Den Berichten der Reisenden zufolge wütete die Pest in manchen Landstrichen weniger als in anderen, was Anabels Entschluss gefestigt hatte, die Heimatstadt ihrer Mutter aufzusuchen.
    »Komm schon«, raunte sie und warf die Decke zurück, was dazu führte, dass Bertram mürrisch die Augen aufschlug. Wie sie selbst, hatte auch er in den Kleidern geschlafen, die Baldewin in Katharinas Auftrag für sie erstanden hatte und die trotz der Strapazen der vergangenen Tage noch sauber und frisch wirkten.
    »Nur ein paar Minuten«, nuschelte er und wollte den Kopf erneut zwischen den Kissen vergraben, doch Anabel blieb hart.
    »Wenn du noch etwas essen willst, bevor wir aufbrechen, solltest du dich beeilen«, warnte sie und rüttelte an seiner Schulter. Inzwischen erinnerten nur noch einige verschorfte Wunden und die dunklen Schatten unter seinen Augen an das Martyrium, das hinter ihm lag. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchströmte die junge Frau, als sie an die Nacht der Befreiung zurückdachte, in der sie befürchtet hatte, sowohl Bertram als auch Baldewin zu verlieren. Immer noch jagten die Bilder jener Nacht durch ihre Träume, und sie schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf, wenn Conrads Fratze vor ihr aufstieg. Wie ein Dolch war ihr der Schreck in die Eingeweide gefahren, als die Wachen den Gießer nur kurze Zeit nach Baldewins Verschwinden ebenfalls in den Metzgerturm gestoßen hatten. Noch immer erinnerten die blutigen Nagelbetten ihrer Daumen an die Minuten des atemlosen Bangens, in denen sie verzweifelt gebetet hatte, dass sich die Wege der beiden Parteien nicht kreuzten.
    Liebevoll strich sie Bertram das zerzauste Haar aus der Stirn und betrachtete sein männliches Kinn, auf dem sich blauer Bartschatten abzeichnete. Wie sehr er sich verändert hatte!, dachte sie und verdrängte die irrationalen Ängste, die sie immer wieder quälten. Er hatte die Seuche überstanden! Der Gott, an dessen Existenz Anabel aufgehört hatte zu glauben, hatte ihn gerettet – ihn durch die harmlose Form der Krankheit vor ihrer tödlichen Schwester bewahrt.
    Sie beugte sich zu ihm hinab, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken. »Faulheit ist eine Sünde«, zog sie ihn auf und reichte ihm die Hand, um ihn in eine sitzende Position zu ziehen. »Wir müssen noch den Anführer der Händler bezahlen«, drängte sie und nestelte an der unter ihren Röcken verborgenen Geldkatze. Sorgfältig darauf bedacht, ihren Reichtum vor den übrigen Reisenden zu verbergen, zählte sie die fünf Schillinge ab, den der fassähnliche Weinhändler aus Verona verlangt hatte. Da der Zug von einem Dutzend Bewaffneter bewacht wurde, war dieser Preis angemessen, da ohne Begleitung die Gefahr zu hoch war, überfallen, ausgeraubt oder erschlagen zu werden.
    »Warum darf ich nicht wenigstens einmal ausschlafen?«, murrte Bertram, der sich mit zähen Bewegungen aus den Laken schälte. Mit einem gewaltigen

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