Die Launen des Teufels
auf den feurigen Rössern zu thronen, saßen diese Jägerinnen jedoch wie Männer im Sattel – ein Eindruck, der durch die Bögen in ihren Händen unterstrichen wurde.
»Gefällt er dir?«, unterbrach Franciscus‘ ölige Stimme ihre Betrachtungen, und ohne auf eine Antwort des Mädchens zu warten, fuhr er fort: »Ein Geschenk des Bischofs. Er stammt aus dem Heiligen Land.« Als müsse diese Erklärung genügen, trat er näher an Anabel heran, die mit einem furchtsamen Keuchen zu ihm aufblickte. Obschon der etwas über dreißig Jahre zählende Abt sein freundlichstes Lächeln aufgesetzt hatte, spürte Anabel, wie ihre Kopfhaut anfing zu prickeln. Die der Härte und Strenge in seinem Blick widersprechende Glätte seiner Haut wurde durch die vollen Lippen hervorgehoben, zwischen denen weiß und feucht die scharfen Eckzähne des Mönches hervorblitzten.
Die lähmende Kälte, die sich bei der auf ihrer Haut brennenden Betrachtung des Ordensvorstehers über ihre Glieder legte, ließ Anabel fröstelnd die Arme um den Oberkörper schlingen. Als Franciscus sich ohne Vorwarnung so nah zu ihr hinabbeugte, dass sie die einzelnen Härchen zwischen seinen Augenbrauen sehen konnte, musste sie alle Beherrschung zusammennehmen, um nicht laut aufzuschreien.
»Ich erwarte heute Abend einige illustre Gäste«, informierte der Abt sie beiläufig, nachdem er wie zufällig die bloße Haut ihrer Unterarme gestreift hatte. Ein merkwürdiger Ausdruck in den hellbraunen Augen ließ Anabel schweigend verharren. »Dabei kann ich keine neugierigen Novizenohren gebrauchen. Lass dir von der Vestiaria der Beginen ein anständiges Gewand aushändigen«, fuhr er die im Raum schwebende Frage beantwortend fort, während er Anabels schlicht geschnittenes Kleid betont missfällig betrachtete. »Du wirst dafür sorgen, dass die Trinkkelche nicht austrocknen.« Mit diesen Worten wandte er ihr so abrupt den Rücken zu, dass Anabel unwillkürlich den Oberkörper nach hinten bog, um seinen breiten Schultern auszuweichen. Doch als sie gerade zu hoffen begann, dass sie entlassen war, richtete er erneut das Wort an sie. »Melde dich nach der Vesper beim Camerarius in der Gästeküche. Er wird dir alle weiteren Anweisungen geben.«
Mit einer geflüsterten Verabschiedung zog sich die junge Frau in Richtung Ausgang zurück und wollte gerade den mit einem Mal bedrückend heißen Raum verlassen, als ihr etwas einfiel. »Vater«, hauchte sie schüchtern, woraufhin ihr Franciscus, der sich mit einem Griff an die Vorderseite seines mit Goldfäden durchwirkten Ausgehmantels von ihr abgewendet hatte, mit einem leisen Stöhnen erneut seine Aufmerksamkeit schenkte. »Du solltest besser gehen«, stieß er gepresst hervor. Und als Anabel den Blick zu der Stelle senkte, wo sich soeben noch seine Hände befunden hatten, erschrak sie beim Anblick der sich deutlich unter dem Barchent abzeichnenden Erregung heftig. Zu oft hatte sie diese Reaktion bei ihrem eigenen Vater gesehen, wenn dieser Gertrud wie ein läufiger Hund umschlich.
»Meisterin Guta hat mich heute Nacht für den Hospitaldienst eingeteilt«, erklärte sie mit belegter Stimme und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass diese Ausflucht genügen würde, sie vor dem zu bewahren, was Franciscus offensichtlich vorschwebte. Doch als ein dünnes Lächeln über die Züge des Abtes huschte, erkannte sie die Vergeblichkeit ihres Hoffens.
»Dir wird nach dem Abendmahl noch genug Zeit bleiben, dich um die Kranken zu kümmern«, versprach er und gebot ihr mit einer ungeduldigen Geste, sich zu entfernen, da sich aus der angrenzenden Kammer das Gemurmel heftig diskutierender Stimmen erhoben hatte.
In blinder Hast floh Anabel aus dem Gebäude, stolperte über den Treppenabsatz des Eingangs und rappelte sich schwindelig wieder auf. Die Sonne, die inzwischen den Nebel verjagt hatte, hing milchig in einem bläulich-weißen Himmel. Doch weder die Schönheit der in feurigem Safrangelb, Ziegel und Blutrot leuchtenden Blätter noch das Gewimmel der Händler und Mönche vermochte, ihre Furcht vor dem bevorstehenden Abend zu verdrängen. Hatte sie wirklich das in den Augen des Abtes gelesen, was sie vermeint hatte zu lesen?, fragte sie sich bang. Sollten die über Franciscus kursierenden Gerüchte wahr sein, und er die im Kloster vorherrschende Frauenfeindlichkeit nicht mit seinen Glaubensbrüdern teilen? Wie oft schon hatte sie im Infirmarium die getuschelten Unterhaltungen zwischen dem selbstgerechten Paulus und dem Tonsor
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