Die Launen des Teufels
belauscht, die sowohl den Abt als auch den gesamten höheren Klerus der Dekadenz und der Sündhaftigkeit bezichtigten.
Erneut erschauerte sie. Was sollte sie tun? Sollte sie der Meisterin beichten, was sie befürchtete? Ohne darauf zu achten, wo sie hintrat, eilte die junge Frau auf den Eingang des Hospitals zu, in dem sie die Begine vermutete. Doch wie sollte sie ihren Verdacht erklären? Und würde die fromme Schwester ihr glauben oder sie der überhitzten Sinne verdächtigen?
Nachdem sie einige Zeit vor dem Eingang zum Lazarett verharrt hatte, beschloss sie, vorerst zu schweigen und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Wenn Franciscus tatsächlich vorhatte, sich der Unzucht mit ihr schuldig zu machen, dann würde sie das sofort beim Betreten des Abthauses bemerken. Denn dann wären mit Sicherheit keine Gäste anwesend! Und im anderen Fall würde sie die ihr aufgetragenen Arbeiten verrichten, um sich im Anschluss daran ihrem Dienst im Hospital zu widmen. Mit einem Biss auf die Unterlippe straffte sie die Schultern und betrat das Krankenquartier.
Kapitel 5
Heidenheim, Ende Oktober 1349
Mit leerem Blick starrte die hochschwangere Katharina von Helfenstein aus dem Ostfenster des dreistöckigen Palas der Burg ihres Vaters, die sich auf einem schroffen Kalksteinfelsen thronend über den kleinen Flecken Heidenheim in der Grafschaft Württemberg erhob. Schwer und Unheil verkündend hing der Klang der Malefizglocke des Unteren Tores über den Dächern der Stadt, durch deren Mitte sich das dünne Band des Wedels schlängelte. Ein bitterer Zug legte sich um ihren schönen Mund, als sie sich der Symbolträchtigkeit des Sterbegeläutes bewusst wurde, das die bevorstehende Hinrichtung eines verurteilten Verbrechers verkündete.
»Gott sei deiner Seele gnädig«, flüsterte sie erschauernd, als das Bild des über das Kopfsteinpflaster holpernden Henkerskarrens vor ihrem inneren Auge auftauchte. Da von ihrem Standpunkt aus der Burgfelsen den Blick auf einen Großteil des Ortes versperrte, ließ sie ihn weiter zu der schneeweiß durch den Regen blitzenden Kapelle auf dem Totenberg wandern, deren strenge Silhouette von vergangenen Jahrhunderten der Trauer und des Todes zeugte. Erbaut vor so langer Zeit, dass sich selbst die ältesten Bewohner Heidenheims nicht daran erinnern konnten, erhob sie sich auf einem beinahe ebenso abschüssigen Felsen wie die Festung der Helfensteiner. Heulend fegte der am Nachmittag aufgekommene Sturm den Regen über die abgeernteten Felder und ließ die Wipfel der die Brenz säumenden Akazien, Pappeln und Linden heftig schwanken. Dieser zweite, größere Flusslauf verband sich einen Tagesritt weiter südlich mit der Donau, was zur Folge hatte, dass Heidenheim nicht nur auf dem Landweg mit den Waren des Umlandes versorgt wurde. Wehmütig dachte Katharina an das am Ende der Flusstäler lockende Ulm, in dem sie auf dem Weg von der am Rande der Schwäbischen Alb gelegenen Festung ihres Gemahls, der Burg Hohenneuffen, haltgemacht hatte, um sich mit dem kostbaren Ulmer Barchent einzudecken.
Geistesabwesend strichen ihre Hände über das feine Mischgewebe aus marokkanischer Baumwolle und heimischem Leinen, während ihre Gedanken weiterwanderten zu den beiden Männern, die ihre überhastete Abreise in dieses Städtchen nötig gemacht hatten. Beinahe sechs Monate hatte sie die Schwangerschaft vor ihrem Gemahl, dem Grafen Ulrich von Württemberg, geheim halten können, doch schließlich hatten selbst die ausgeklügeltsten Ausreden und modischen Exzentrizitäten nicht mehr genügt, ihren Zustand zu kaschieren. Und so hatte sie sich – unter dem Vorwand, einer Bitte ihres Vaters Folge zu leisten – auf den Weg gemacht, um in der Abgeschiedenheit der Ostalb das Kind zu gebären, das ihren Geliebten den Kopf kosten würde, sollte Ulrich jemals von seiner Existenz erfahren. Da dieser selbst augenscheinlich nicht dazu in der Lage war, seine junge Gemahlin zu schwängern, war das Feuer des Ehegemaches schon bald nach der Vermählungsnacht erloschen, was Katharina empfänglich gemacht hatte für die freche Werbung des Ritters Wulf von Katzenstein. Hünenhaft und dunkel, war er das völlige Gegenteil des durchgeistigten, schlaksigen Ulrich, der mehr Zeit damit verbrachte, sich mit seinem Bruder Eberhard um die zwischen ihnen aufgeteilte Grafschaft zu streiten, als sich um die ehelichen Artigkeiten zu kümmern, die im allgemeinen von einem Mann adeliger Herkunft erwartet wurden. Wie armselig und
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