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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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sich auch an seiner Fassade flammend roter wilder Wein, der in seiner Farbpracht merkwürdig fehl am Platze wirkte.
    Sie war gerade mit eingezogenem Kopf durch den niedrigen Durchgang getaucht, der das Refektorium mit dem Innenhof verband, an den das Abthaus anschloss, als sie ein dröhnender Bass zusammenzucken ließ.
    »Was hast du hier zu suchen?«, forderte Henricus, der als Ordensvater direkt unter Franciscus stand, mit vor Zorn funkelnden Augen zu wissen und vertrat ihr den Weg. »Dieser Bereich ist für Weiber nicht zugänglich! Hat man dir das nicht gesagt?« Das leichte Zittern seiner Unterlippe und die sich krampfhaft in den Stoff seiner Kutte krallenden Hände verrieten die Anstrengung, die es ihn kostete, Anabel nicht auf der Stelle an die Kehle zu gehen. 
    »D-doch«, stammelte diese verstört und wich instinktiv einige Schritte vor dem bebenden Mönch zurück. »Vater Franciscus hat nach mir geschickt«, setzte sie nach einem mühsamen Schlucken hinzu und senkte den Blick, als sich die grauen Augen ihres Gegenübers zu kleinen Schlitzen verengten.
    »Hat er das?«, stieß Henricus schließlich kalt hervor und fuhr sich mit der Rechten in den fleckigen, von Narben zerfurchten Bart.
    Während Anabel mit hämmerndem Herzen die einfachen Sandalen des Bruders fixierte und hoffte, dass sein Zorn genauso schnell verrauchte wie er gekommen war, hielten auf den Zügen des Ordensvaters gegensätzliche Gefühle Widerstreit. Die Empörung, die zunächst einer Mischung aus Verachtung und Ekel gewichen war, kehrte einen Augenblick später zurück, um kurz darauf von Verstehen und Schadenfreude vertrieben zu werden.
    »Ich verstehe«, murmelte er, während der Blick seiner beinahe bleigrauen Augen Anabels Erscheinung von Kopf bis Fuß abtastete. »Du kannst gehen.«
    Ohne auf einen erneuten Sinneswandel des leicht entflammbaren Ordensvaters zu warten, neigte Anabel den Kopf und huschte in Richtung Abthaus davon. Dort angekommen, blickte sie scheu über die Schulter zurück, nur um ohne zu zögern in das dunkle Innere zu fliehen, als sie sah, dass Henricus ihr mit gerunzelter Stirn nachstarrte. Was um alles in der Welt hatte sich der Abt dabei gedacht, sie zu sich zu rufen?, grübelte sie, während der Klumpen in ihrer Magengrube anschwoll. Und wie sollte sie Franciscus in diesem verwirrend großen Gebäude jemals finden?
    Sie war gerade dabei, sich an der Unterseite der Treppe entlang in die Eingeweide des nach frisch bearbeitetem Holz duftenden Hauses zu tasten, als die wie aus dem Nichts auftauchende Gestalt des Ordensvorstehers ihr die Luft aus den Lungen trieb.
    »Da bist du ja endlich«, stellte er ohne Vorrede fest und trat aus dem Schatten der Tür, die am Ende des Ganges die Treppe abschloss. »Komm nach oben.«
    Den höflichen Gruß vergessend, der ihr im Hals steckte, raffte Anabel die Röcke und eilte dem breiten Rücken des in eine auffällig protzige Kukulle gewandeten Franciscus nach, der bereits mehrere Stufen Vorsprung hatte.
    »Hier hinein«, forderte er das Mädchen auf, nachdem sie einem zu beiden Seiten von prächtigen Gemälden und Kruzifixen geschmückten Korridor bis zu dessen Ende gefolgt waren. Die Tür, die sich wie von Zauberhand vor dem Oberhaupt der Ulmer Barfüßer öffnete, verschlug Anabel vor Bewunderung die Sprache. Aus einem rotbraunen, an manchen Stellen rosig schimmernden Holz geschnitzt, erzählte der Rahmen die Geschichte der Verurteilung, Kreuzigung und Auferstehung Jesu, wohingegen die Tür selbst den Garten Eden und den Schlund der Hölle thematisierte.
    »Lasst uns allein«, herrschte Franciscus zwei Novizen an, die sich mit einer tiefen Verbeugung an ihm vorbeidrückten und schweigend den Gang entlang hasteten. »Worauf wartest du?«, fragte er ungeduldig, als Anabel wie gelähmt auf der Schwelle des Raumes verharrte.
    Anstatt sich – wie von dem Mädchen erwartet – durch Schlichtheit auszuzeichnen, wie es sich für einen Bettelorden ziemte, bestach der Raum, der sich ihren erstaunt aufgerissenen Augen darbot, durch Prunk, Pracht und Reichtum. An der zwischen den beiden Hauptfenstern gelegenen Wand leuchtete ein seidener Wandteppich von solcher Schönheit und Lebendigkeit, wie Anabel sie niemals für möglich gehalten hätte. In warmen Gold-, Purpur- und Brauntönen gehalten, zeigte die meisterhafte Knüpfarbeit etwa ein halbes Dutzend fremdländisch anmutender Damen, die in einem von Wild nur so wimmelnden Wald zur Jagd ritten. Anstatt züchtig und keusch im Damensitz

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