Die Launen des Teufels
vor den Toren Schlange und warteten darauf, von Gaudenz, dem Zellerar, empfangen und bezahlt zu werden. Dieser war jedoch trotz der frühen Stunde bereits in seinem Element, ging mit einer kleinen Holzschale von Wagen zu Wagen und tauchte diese in die Fässer voller Wein und Met, um sie gefüllt an den Mund zu führen. Obschon das Kloster über eine eigene Brauerei verfügte, in der das besonders zur Fastenzeit beliebte Starkbier gebraut wurde, und auch seinen eigenen Wein herstellte, kaufte Gaudenz jeden Herbst zusätzliche Fässer von den Bauern der Umgebung, damit die Barfüßermönche in den langen Wintermonaten nicht darben mussten.
»Dieser hier ist wunderbar«, hörte Anabel den koboldhaften Bruder schwärmen, als sie in Richtung Refektorium steuerte. »Davon kannst du drei Dutzend abladen.« Wie immer, wenn er sprach, riss er die grünen Augen so weit auf, dass das Weiß komplett sichtbar war, und legte die Stirn in tiefe Falten. »Du da«, sagte er an einen Getreidebauern gewandt, auf dessen Karren sich pralle Weizensäcke stapelten. »Du kannst direkt vor der Küche abladen.«
Mit einem leichten Schmunzeln trat Anabel in den bereits brodelnden Klosterhof, wo sich die Novizen um die begehrte Aufgabe, die frisch gelieferten Trauben zu zertreten, zankten. Wie froh sie sein mussten, dem fetten Novizenmeister Clemens wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen, dachte das Mädchen, das die blutjungen Burschen, die von ihren Eltern gegen schwindelerregend hohe Spenden in die Obhut des Ordens übergeben wurden, schon oft bedauert hatte. Nicht nur mussten sie ihr halbes Leben mit Beten verbringen, es war ihnen auch nicht gestattet, ohne die Erlaubnis des Abtes die Klostermauern zu verlassen.
Sie wollte sich gerade auf den Weg in den kleinsten der vier Kräuter- und Gemüsegärten machen, in dem Kohl, Spinat, Lauch und Kürbisse angebaut wurden, als sie Vren erblickte, die sich im Schatten einer der Kreuzgangsäulen aus der Umarmung eines flachsblonden Novizen löste. Dieser zog, als er Anabels Gegenwart gewahr wurde, rasch die dunkle Kapuze über den Kopf und duckte sich in einen Durchgang, nachdem er Vren einen letzten, schmachtenden Blick zugeworfen hatte.
»Bist du wahnsinnig?«, flüsterte Anabel, als sie die Freundin erreichte, auf deren großflächigem Gesicht ein schelmischer Ausdruck lag. Die braunen Augen funkelten übermütig, als diese sich mit einer betont damenhaften Geste das kastanienfarbene Haar von den Schultern strich. »Wenn man euch erwischt …« Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft schweben, da es keinen Zweifel darüber geben konnte, was der seinem Namensvetter Franz von Assisi so überhaupt nicht ähnliche Franciscus mit den Sündern anstellen würde.
»Wird man nicht«, wiegelte Vren wegwerfend ab und kratzte sich am Kinn. Wie so viele der Albbewohner hatte auch sie das starke Profil der Landbevölkerung, das sich durch eine weit vorspringende, gebogene Nase und ein fliehendes Kinn auszeichnete. Doch schienen diese kleinen Schönheitsfehler sie nicht daran zu hindern, dem männlichen Geschlecht den Kopf zu verdrehen. »Wir sind vorsichtig.«
Wenngleich Anabel sie am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt hätte, schluckte sie die scheltenden Worte, zuckte die Achseln und erwiderte neutral: »Wenn du meinst.«
Mit einem unbeschwerten Lachen legte Vren ihr den Arm um die Taille, wirbelte sie einmal im Kreis und wurde dann schlagartig nüchtern. »Wenn man vom Teufel spricht«, hub sie mit einer steilen Falte zwischen den Brauen an. »Franciscus hat nach dir geschickt.« Als Anabel verwundert den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, setzte sie hinzu: »Ich weiß nicht, woher er deinen Namen kennt, aber Schwester Mechthild hat mich beauftragt, es dir auszurichten.«
Anabel schüttelte den Kopf. Nicht nur war es ungewöhnlich, dass der Abt eine der weiblichen Hilfskräfte, die primär zur Unterstützung der Beginen eingesetzt wurden, zu sich beorderte. Es verstieß sicherlich auch gegen die Klosterregeln, da der innere Bereich der Abtei für Frauen verboten war.
»Er ist im Abthaus.«
Mit einem wehmütigen Blick auf die schwer die Köpfe neigenden Sonnenblumen und allmählich sterbenden Rosen, die ihren Duft in den kleinen Gärtchen verbreiteten, wandte Anabel sich der am Ostende des Komplexes gelegenen Behausung des obersten Ordensbruders zu und näherte sich zögernd dem Gebäude. Wie bei den anderen größeren, in Fachwerkbauweise errichteten Unterkünften rankte
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