Die Launen des Teufels
Goldschmieden, Steinmetzen, Leinenwebern, Färbern, Schiffern, Bäckern und Mangern waren die reichen Wein-, Tuch- und Gewürzhändler sowie Schneider, Schlosser, Metzger, Kannen- und Eisengießer anwesend. Die Farbpracht der unterschiedlichen Trachten schmerzte seine Augen. Als es ihm schließlich gelungen war, sich bis dicht an das Podium heranzuschieben, auf dem der Alderman mit erhobenen Händen um Ruhe bat, presste er einige Atemzüge lang die Lider aufeinander, bevor er genüsslich den kühlen Rand des Zinnpokals an die Lippen führte. Schwer und ölig rann der mit Zimt gewürzte Rotwein seine Kehle hinab und erfüllte ihn mit einem inneren Glühen, das ihm die Hitze in die Wangen trieb. Zwar war er alles andere als ein ungeübter Trinker, doch verstärkte die Kombination aus dicht gedrängten Leibern, zu vielen Fackeln und stickiger Luft die Wirkung des Alkohols um ein Vielfaches, sodass er das Gefäß bereits nach wenigen Schlucken wieder absetzte, anstatt es wie sonst in einem Zug zu leeren.
»Willkommen.« Der klare Tenor des Aldermans drang bis in die hintersten Winkel vor und brachte die zum Teil hitzigen Diskussionen zum Verstummen.
»Ihr alle wisst, warum wir heute hier zusammengekommen sind«, hub der schlanke, dunkelhaarige Gesamtzunftvorsteher an und ließ den Blick über die Köpfe schweifen. »Da einige von uns der Pest zum Opfer gefallen sind …«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, in der einige aus Ehrfurcht für die Toten die Augen niederschlugen und sich bekreuzigten, »… müssen ihre Posten neu besetzt werden, wenn der Rat dieser Stadt funktionsfähig bleiben soll.«
Ein erwartungsvolles Raunen lief durch die Reihen, da nicht wenige der einflussreichen Meister darauf hofften, ihre Macht zu erweitern. Als der Alderman erneut die Stimme erhob, flaute das Gemurmel nicht mehr ganz so schnell ab. »Zehn der siebzehn uns zustehenden Plätze im Rat sind zu vergeben, und jeder Meister, der sich zur Wahl stellen will, kann heute seinen Namen in diesen Topf werfen.« Er deutete auf einen Kupferkessel, der neben seinen Füßen auf dem Boden stand. »Diese Namen werden auf einer Liste am Rathaus ausgehängt, und innerhalb einer Woche kann jedes ordentliche Mitglied einer Zunft für einen dieser Kandidaten stimmen.« Seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an. »Jeder, der abstimmt, wird registriert. Ihr solltet also nicht versuchen, Eure Stimme mehr als einmal zu vergeben.« Das Tuscheln in den hinteren Reihen verriet, dass durchaus der eine oder andere diesen Gedanken gehegt hatte, doch ohne weiter darauf einzugehen, griff der Alderman nach dem Kessel, in dem sich kleine Pergamentfetzen und Kohlestifte befanden, und reichte ihn in die Menge. »Wer nicht schreiben kann, macht ein eindeutiges Symbol«, riet er und heftete den Blick der wachen Augen auf die ersten Wahlbegeisterten, die sich um die kleinen Fetzen stritten wie Kinder um Süßigkeiten. In weniger als einer halben Stunde hatte der Topf die Runde gemacht und wurde randvoll mit Zetteln wieder auf das Podium gereicht, wo der Alderman ihn in den Hintergrund schob.
»Das war der erste Punkt«, ergriff er erneut das Wort und starrte auf seine gefalteten Hände hinab. »Noch etwas darf nicht unerwähnt bleiben.« Sein Tenor hatte eine strenge Schärfe angenommen, die manches Zunftmitglied unvermittelt die Luft anhalten ließ. Conrad, der den in seinen Augen pompösen Vorsteher am liebsten zur Eile getrieben hätte, presste missfällig die Lippen aufeinander und zischte kaum hörbar: »Mach schon, ich habe heute noch etwas vor.«
Als habe er den Kommentar gehört, verengten sich die Augen des Aldermans und er fixierte den Gießer mit einem alles andere als freundlichen Ausdruck auf den Zügen. »Mir sind Beschwerden zu Ohren gekommen, dass bei der Vergabe der Aufträge für den Münsterbau nicht alles den Regeln entsprechend abläuft.« Er hob die Hand, um eventuelle Einwände im Keim zu ersticken. »Die Seuche, die uns so unerwartet überfallen hat, ändert nichts an der Tatsache, dass Verstöße gegen die Regeln mit Zunftausschluss, Bußgeldern und Haftstrafen belegt werden.« Sein Kopf schoss vor, und ohne es zu wollen, blickte Conrad sich um, ob die hinter ihm Stehenden ebenfalls den Eindruck hatten, direkt angesprochen zu werden. Zwar interessierte ihn der Bau der Münsterkirche nicht besonders, da noch Jahre ins Land gehen würden, bis der Turm dieses Bauwerkes eine Glocke benötigte. Doch sollte der Alderman Nachforschungen
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