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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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angewiesen, dass die Barfüßer dieses Hospital mit uns teilen.« Die Falten um ihren Mund vertieften sich energisch. »Und so sehr es mir leid tut, was mit Vren geschehen ist, ich werde nicht zulassen, dass Henricus uns untergräbt.« Damit holte sie tief Atem und erhob sich, um die Arbeit wieder aufzunehmen. »Wir können es uns nicht leisten, unsere Zeit mit Streitereien zu verschwenden«, fügte sie hinzu. »Wenn es sein muss, wende ich mich an den Bischof!« Damit war die Sache für sie erledigt, und sie machte Anstalten, sich dem nächsten Unfallopfer zuzuwenden, dessen linkes Bein von einem ausschlagenden Ochsen zertrümmert worden war.
    Während in Anabel noch Wut und Hoffnung Widerstreit hielten, sackte keine drei Schritt vor ihr ohne Vorwarnung Schwester Marthe in die Knie und schlug lang auf dem Boden hin. Ihre ansonsten vollen Wangen wirkten eingefallen, und als sich mit quälender Langsamkeit ein Blutstropfen aus ihrem rechten Nasenloch löste, zog Anabel, die sich sofort neben sie gekniet hatte, scharf die Luft durch die Zähne ein.
    »Meisterin!«, rief sie mit sich überschlagender Stimme und schob Marthe den Arm unter den Nacken, um diese zu stützen. »Schwester Marthe geht es nicht gut.«
    Kaum war Guta bei ihr, tastete sie mit den sanften braunen Augen das bleiche Gesicht der Schwester ab.
    »Es ist nichts«, protestierte die nicht mehr ganz junge Marthe Ehinger matt, doch während sie noch sprach, folgte dem einen Tropfen ein dünnes Rinnsal, das sich im Kragen ihres Habits fing. »Mir geht es gut«, log sie tapfer, doch als Anabel, Guta und die zierliche Schwester Adelheid sie unter den Armen stützend auf eine der letzten freien Bettstätten zuführten, leistete sie keinen Widerstand und ließ sich folgsam wie ein Kind unter die Decke stecken. »Wasser«, bat sie heiser und trank gierig aus der Schale, die Anabel ihr kurze Zeit darauf an die brüchigen Lippen setzte.
    »Seit wann fühlst du dich schwach?«, fragte Guta Staiger gezwungen sachlich, doch Marthe schüttelte lediglich ermattet den Kopf und ließ sich mit geschlossenen Augen in das klumpige Kissen sinken. Schwer atmend griff die Meisterin vorsichtig unter den Ärmelrock ihrer Ordensschwester und erstarrte, als sie die geschwollenen Lymphknoten ertastete. »Der Herr sei ihrer Seele gnädig«, murmelte sie und legte Marthe die Hand auf die Wange. »Wie lange, Marthe?«, wiederholte sie, und nachdem sie den Mund dicht an das Ohr der Kranken gelegt hatte, röchelte diese: »Seit ein paar Tagen.« Damit schloss sie endgültig die Augen und fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
    »Ein paar Tage.« Der Schock der Meisterin wirkte ansteckend, und auch Anabel schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann hat sie nicht mehr viel Zeit«, stellte Guta nach kurzem Schweigen schließlich fest und fasste Anabel am Arm, um sie aus dem Raum nach nebenan zu führen. »Lauf und hol Prudenz«, befahl sie knapp, da es seit einiger Zeit primär der gutmütige alte Bibliothekar war, der den Sterbenden die Beichte abnahm. »Ich möchte, dass er sofort kommt.«
    Zitternd legte Anabel ihre Utensilien in einem der vielen bereitstehenden Körbe ab, schlüpfte in ihre Glocke und huschte über den schneebedeckten Hof auf das Hauptgebäude zu. Am Eingang zum Refektorium gab sie einem der dort für die auch hier aufgebahrten Toten betenden Novizen den Auftrag, nach dem alten Mönch zu schicken, und als dieser nach wenigen Minuten humpelnd in den Hof trat, erhellte sich seine sorgenvolle Miene.
    »Dies ist kein Ort für ein junges Ding wie dich«, stellte er gutmütig fest und ergriff Anabels helfende Hand. Auf wackeligen Beinen folgte er ihr zurück zum Infirmarium, wo er seufzend bemerkte: »Die Wege des Herrn sind unergründlich. Greise verschont er und die Ungeborenen rafft er dahin.« Er seufzte. Immer öfter kam es in letzter Zeit vor, dass er den ungeborenen Kindern der sterbenden Mütter noch in deren Leib die Absolution erteilen musste, da diese ansonsten nicht auf einem Gottesacker beigesetzt werden konnten. »Tu Buße, mein Kind«, riet er Anabel, bevor er in den Eingeweiden des Hospitals verschwand. »Dann erwartet dich ein langes Leben.«
    Niedergeschlagen blickte Anabel seinem gebeugten Rücken nach, bis dieser von dem Dämmerlicht verschluckt wurde. Wenn er doch nur recht hätte!, dachte sie wehmütig, da sich ihr Wunsch zu sterben im Angesicht des Leides inzwischen in ungeschminkte Furcht verwandelt hatte, und bekreuzigte sich vor dem an der Wand

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