Die Launen des Todes
meinten, es sieht so aus, als hättest du es überstanden – was immer es gewesen sein mag –, aber du warst länger weg, als sie erwartet haben.«
Er versuchte entspannt zu klingen, aber sie hörte ihm an, wie besorgt er gewesen war.
»So, jetzt bin ich wieder da. Ich hab nur geschlafen, oder?«
»Und geredet.«
»Geredet.« Nun war es an ihr, entspannt klingen zu wollen. »Hab ich Blödsinn von mir gegeben?«
»Genauso viel wie sonst auch immer«, sagte er grinsend.
»Im Ernst.«
»Nicht viel«, sagte er. »Du hast mich immer Sergius genannt.«
»O Scheiße. Ich hab … von ihm geträumt … tut mir Leid.«
»Weswegen? Du bist wieder im Krankenhaus, der Geruch, die Geräusche, das alles muss dich unbewusst wieder an die Zeit nach dem Unfall erinnert haben.«
»Hast du dir das selbst zusammengereimt, Dr. Freud?«, sagte sie, bemüht um einen leichten Tonfall, bemüht, ans Licht zu kommen. »Warst du die ganze Zeit hier?«
»Die meiste Zeit. Ansonsten war Myra da. Sie ist wunderbar. Ich mag sie sehr.«
»Weiß nicht, ob ich es gutheißen kann, wenn mein Freund eine gut aussehende Witwe sehr mag«, sagte sie. »Gibt es hier auch Ärzte, oder müssen die noch ihren Kater pflegen nach letzter Nacht?«
»Ich nehme an, diejenigen, die was zu sagen haben, tun das wahrscheinlich. Ein Typ ist da, scheint jünger zu sein als ich, hin und wieder sieht er auch nach dir. Wenn ich ihn frage, was dir fehlt, quasselt er von irgendwelchen Untersuchungen und dass er erst mit Mr. Chakravarty reden muss, dem Facharzt für Neurologie. Ich sollte vielleicht jemandem sagen, dass du aufgewacht bist.«
»Wieso? Damit sie mir Schlaftabletten verpassen können?«
»Damit sie, wenn es eine Behandlung gibt, die in Zukunft solche Anfälle verhindert, sofort damit anfangen können.«
Sanft löste er seine Hand und erhob sich.
»Hat«, sagte sie. »Es tut mir Leid. Ein toller Jahresanfang, was?«
Lächelnd sah er sie an.
»Kann nur besser werden. Und es wird besser werden. Das ist das beste Jahr meines Lebens, vergiss das nicht. Es ist nämlich das Jahr, in dem ich dich heiraten werde. Ich liebe dich, Rotdrossel.«
Er ging hinaus.
Rye wandte den Kopf und starrte zum von keinem Vorhang verschlossenen Fenster, gegen das sich die Nacht presste wie ein dunkles wildes Tier, das hereinwollte.
»Serge«, sagte sie, »du Dreckskerl, was hast du mir angetan?«
Dann brach sie in Tränen aus.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, ging es ihr wider Erwarten sehr viel besser. Nicht körperlich – gerechterweise musste sie sich eingestehen, dass sie sich nicht besser oder schlechter fühlte als im vergangenen Monat auch –, sondern geistig. Sie hatte keine Neujahrsvorsätze gefasst, dieses Jahr nicht und auch in keinem anderen Jahr ihres Lebens, hatte aber das Gefühl, dass ein Vorsatz für sie gefasst worden war.
Die Stunden vergingen. Krankenschwestern verrichteten ihre mysteriösen Dinge und versprachen, dass Mr. Chakravarty sie bald sehen werde; ihr pubertärer Arzt untersuchte sie und versicherte, Mr. Chakravarty werde gleich kommen; sie hatte Besucher – Dalziel mit einem riesigen Glas in Drambuie eingelegter Loganbeeren, die er mit einem langen Löffel verspeiste; Bibliotheksangestellte, die in ihrer Mittagspause mit Büchern und so viel Klatsch und Tratsch auftauchten, dass man meinen konnte, sie wäre einige Wochen und nicht einen halben Tag weg gewesen (der Neujahrstag war natürlich ein Feiertag); Myra Rogers mit einem Obstkorb und, kluge Frau, einigen Sachen zum Anziehen sowie anderen Notwendigkeiten. Und natürlich kam Hat, er brachte Blumen und Pralinen und seine Liebe, das einzige Geschenk, bei dem sie in Tränen ausbrechen wollte (obwohl sie sich auch ein wenig weinerlich fühlte, als sie sah, wie Dalziel die letzte Loganbeere verputzte).
Sie döste ein wenig (komisch, wie schläfrig man wurde, wenn man den ganzen Tag im Bett lag) und wachte auf, sah Hat, der mit einigen Schwestern plauderte. Sie verspürte keine Eifersucht, nur eine Art sehnsuchtsvollen Stolz auf seine Wirkung, die er mit seinem jugendlichen Charme auf junge Frauen ausübte.
Wieder döste sie ein, und beim Aufwachen musste sie feststellen, dass sie Mr. Chakravarty fast verpasst hätte. Er blickte von weit oben auf sie herab. Er war groß, schlank, von dunklem Teint, äußerst hübsch. Er hätte einer jener indischen Prinzen sein können, die, schien sie sich zu erinnern, die großen Internate besucht und für England Cricket
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