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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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der Sache selbst zurechtkommen konnte.«
    »Ja, ich weiß. Wie ist er denn gestorben? Mein Gott, tut mir Leid … ich kann mich einfach nicht …«
    »Sei nicht dumm. Seltsam, jetzt, da ich bereit wäre zu reden, fragt mich keiner mehr danach. Er ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Massenkarambolage auf der Autobahn. Nur ein Toter. Carl. Als wäre ich ins Visier genommen worden, so habe ich mich damals gefühlt! Als wäre es mir besser gegangen, wenn noch ein Dutzend andere getötet worden wären und ich in der Zeitung nicht hätte lesen müssen, dass es an ein Wunder grenzte, dass nicht noch viel Schlimmeres geschehen sei!«
    Das hatte gereicht, plus ein oder zwei weitere Gläser, um alles aus ihr herauszulocken, den Unfall, Sergius’ Tod, die zerbrochene Vase …
    »Ich hab sie schon viel zu lang aufgehoben. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, zu wissen, dass sie da war, oder einfach alles zu vergessen. Ich hab darüber nachgedacht, nachdem doch jetzt Hat, das ist mein Freund, und ich … zusammen sind, du weißt schon, irgendwie schien es mir nicht richtig zu sein …«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich hatte mal einen Freund, den hat es angemacht, auf Friedhöfen zu vögeln. Ich hab ihn dann in die Wüste geschickt, als mich eines Morgens im Squash-Verein unter der Dusche eine Freundin fragte, warum ich auf meiner linken Arschbacke RIP rückwärts aufgedruckt hätte.«
    Nachdem sie sich von ihrem Lachanfall erholt hatten, war es leicht gewesen, alles zu erzählen – das heißt die verstümmelte Version, für die sie nahezu alles gegeben hätte, wenn sie der Wahrheit entsprochen hätte, und die, wie sie beinahe selbst glaubte, zur Wahrheit werden könnte, wenn sie sie nur oft genug wiederholte. Sie hatte sogar einen Witz über die grotesken Folgen ihres Staubsaugens gerissen, falls, wie die Bibel versprach, am Tag des Jüngsten Gerichts die Körper der Toten wieder zusammengesetzt würden. Es war lange her, dass Rye sich so offen mit einer anderen Frau unterhalten hatte, und es hatte gut getan. Am nächsten Morgen, als sie sich dunkel an das Gespräch zu erinnern versuchte, hatte sie kein so gutes Gefühl mehr. Ihre Bedenken zerstreuten sich schnell, als sie das nächste Mal Myra traf, die sich freundlich und fröhlich gab und nichts Drängendes an sich hatte oder sie mit einem wissenden Blick bedachte.
    Plötzlich, während das neue Jahr sich näherte, kam es ihr so vor, als sei eine Zukunft für sie nicht unbedingt möglich, aber auch nicht mehr ganz unmöglich. Als sei durch Liebe und Freundschaft und vielleicht auch durch eine Beichte (aber, ach, ein Stich fuhr ihr ins Herz, wenn sie nur daran dachte, Hat alles zu beichten!) eine Art Sühne möglich …
    Und nun, am ersten Tag des lichten neuen Jahrs, lag sie in einem Krankenhausbett und unterhielt sich wieder mit ihrem toten Bruder.
    »Hör zu«, sagte sie schroff. »Ich weiß, du bist gar nicht da. Ich weiß, du warst nie da … all das … ich weiß nicht … weiß nicht … das war nicht ich … jemand anderes …«
    Doch es war sie gewesen. Und Sergius stand vor ihr und klagte sie stumm an, aber wessen? O Gott, nein, nicht weil sie aufgehört hatte, als sie so nahe dran gewesen war – nicht, dass sie wieder von vorne anfangen und es bis zum bitteren Ende durchziehen sollte, bis genügend Blut vergossen war, um ihm seine Stimme wiederzugeben – nein, das konnte sie nicht mehr, sie würde verrückt werden. Vielleicht war sie schon verrückt …
    »Sergius, Sergius«, rief sie. »Bitte mich nicht. Ich kann nicht … du bist nicht wirklich hier …«
    Und um sich dessen zu vergewissern, streckte sie die Hand aus, und er streckte die seine, sie nahm sie und drückte ihm fest die Finger. Sie schloss die Augen und wusste nicht, ob sie vor Freude singen oder vor Entsetzen weinen sollte. Und als sie die Augen wieder öffnete, war es doch nicht Sergius, sondern Hat, der vor ihr saß und ihr die Hand hielt, als könnte nur sein fester Griff sie davor bewahren, ins bodenlose Nichts zu stürzen. Und vielleicht war es wirklich so.
    »Oh, Hat«, sagte sie.
    »Hallo.«
    »Hat.«
    »Das hast du schon gesagt. Du solltest sagen ›wo bin ich?‹«
    »Interessiert mich nicht, wo ich bin, solange du da bist.«
    Zu ihrem Elend sah sie, wie ihm Tränen in die Augen traten.
    »Weine nicht«, sagte sie. »Es gibt keinen Grund zu weinen. Bitte. Wie spät ist es? Überhaupt, welcher Tag ist heute?«
    »Noch immer Neujahr. Gerade noch. Die Leute hier

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