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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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drehte sich Hat mit einer Geschwindigkeit, bei der ihm schwindlig wurde. Er gab jeden Versuch auf, die Schrittfolgen einzuhalten, und konzentrierte sich nur noch darauf, mit den anderen Mitgliedern der Formation mitzuhalten, die alle entschlossen schienen, sich vom fetten Bullen nicht die Schau stehlen zu lassen. Aber es war kein wirklicher Wettbewerb. Dalziel tanzte wie ein Besessener, aber auch wie jemand, der sich völlig unter Kontrolle hatte, der nie das Gleichgewicht verlor, nie eine Schrittfolge verpasste. Nur Rye konnte anscheinend mühelos mit ihm mithalten. Wenn der Bewegungsablauf der Formation sie wieder mit Hat zusammenführte, zwinkerte sie ihm zu, und wenn sie auf Dalziel traf, sah sie ihm direkt in die Augen, auf ihren Lippen ein leicht neckisches Lächeln.
    Die Musik legte nun ein halsbrecherisches Tempo vor, und nur die mannhafte Entschlossenheit, vor dem Dicken … oder vor Rye … oder vielleicht vor beiden … keine Schwäche zu zeigen, trieb Hat weiter an. Dalziel hatte Rye im Griff, wirbelte sie herum und ließ sie dann los, um sie dem Nächsten in der Reihe zu übergeben. Wie eine Königin bewegte sie sich, welche Balance, welche Grazie, welche … Hat verspürte die reinste Wonne bei dem Gedanken, dass sie seine war … nein, nicht
seine
 … nicht im beherrschenden, besitzanzeigend Sinn … sondern dass er und sie …
    Stotternd kamen seine Gedanken zum Halt. Etwas war falsch … nein, nicht falsch … es war Dalziels Schuld … er hatte Rye mit viel zu viel Schwung von sich geschleudert … sie wirbelte von den anderen Tänzern fort … kam dann sofort und elegant zum Halt und kehrte zurück, lächelte … aber plötzlich war nichts Elegantes mehr in ihren Bewegungen … aus der Königin des Tanzes, die sich vollkommen beherrschte, war eine mechanische Puppe geworden, bei der eine Feder gebrochen war … noch immer drehte sie sich, doch ihre Arme torkelten durch die Luft, als wollte sie einen Schwarm angriffslustiger Bienen abwehren … und dann ging sie zu Boden.
    Die Musik brach ab. Hat rannte zu dem sich windenden, wälzenden Bündel, das nicht Rye war, nicht Rye sein konnte, nicht Rye sein durfte! Er rannte, so schnell er konnte, und hatte dennoch das Gefühl, als wate er durch Wasser.
    Der Mund stand ihr offen, aber kein Laut war zu hören. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ein stierer Blick, aber was sie sah, konnte kein anderer im Raum sehen. Als Hat sie erreichte, fiel er neben ihr auf die Knie. Er war für Notfälle ausgebildet, aber nichts wollte ihm einfallen, was jetzt zu tun war. Alles, was er konnte, war neben ihr zu knien, zu spüren, wie lähmende Schwärze ihn umhüllte, nicht willens und nicht fähig sich einzugestehen, dass alles, was er liebte und für das Liebste auf der Welt erachtete, mit einem Wimpernschlag auf dieses … dieses Bündel reduziert worden war.
    Dann stieß Myra Rogers ihn zur Seite, kniete sich am Kopf der jungen Frau nieder und drückte ihr den Mund auf, um zu überprüfen, ob nicht die Zunge die Luftröhre blockierte. Sie sah aus, als wüsste sie, was sie tat. Auch Dalziel war in der Nähe, brüllte: »Holt einen Arzt. Ich hab mindestens drei von der Sorte hier gesehen. Geht zur Bar, da dürften sie sich rumtreiben.« Und Cap Marvell hatte ein Handy hervorgezogen und sprach dringlich mit dem Notarzt.
    Rye bewegte sich nicht mehr. Einen unbeschreiblichen Augenblick lang glaubte Hat, sie sei tot. Dann sah er, wie ihr Brustkorb sich hob und senkte. Ein Arzt erschien und untersuchte sie. Myra Rogers zog Hat sacht auf die Beine.
    »Sie wird es überstehen«, sagte sie tröstend. »Wahrscheinlich die Hitze und der Trubel …«
    Dalziel sagte: »Der Krankenwagen ist unterwegs. Ich hör ihn schon. Kommt alles wieder in Ordnung, Junge.«
    Sogar die Zusicherung des Dicken hörte sich diesmal schal und leer an.
    Der Krankenwagen erschien. Als Hat der Rollbahre nach draußen folgte, ging sein Blick nach oben. Es war eine klare, kalte Nacht. Sterne drängten sich am dunklen Himmelsgewölbe. Gab es dort oben Leben? Wen interessierte der Scheiß?
    Irgendwo in der Nähe johlte ein heiserer Betrunkener »Gutes neues Jahr!«.
    Hat stieg in den Krankenwagen, die Türen wurden geschlossen, und zurück blieben die teilnahmslosen Sterne und glücklichen Betrunkenen.

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    9
    Die Säufer
     llie Pascoes Neujahrsfeier verlief ziemlich fad. Das Spritzigste an der Sache waren die zwei von Pascoe erstandenen Flaschen Prickelwasser. Eine davon war eine

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