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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Gegenwert erhalte, oder?«
    »Nun, es gibt eine umfangreiche Bandbreite psychiatrischer Störungen, die nach einer Gehirnverletzung auftreten können, wie Sie sie im Alter von fünfzehn Jahren unzweifelhaft erlitten haben. Ich erwähnte bereits affektive Störungen, dazu gehören Zustände wie Manie und Depression, daneben obsessive Zwangsstörungen, Panikstörungen, Angststörungen. Damit verbunden können Motivationsstörungen sein. Auch psychotische Störungen treten auf sowie eine erhöhte Neigung zu Gewalt und Aggression, aber all dies hat wirklich keinerlei Relevanz für Ihren momentanen Zustand, Miss Pomona …«
    »Seien Sie nachsichtig mit mir, aber das alles klingt sehr interessant«, sagte sie. »Ich weiß, wie viel Sie zu tun haben, aber wenn Sie noch ein wenig von Ihrer wertvollen Zeit erübrigen könnten, während ich mich etwas sammle …«
    Das war eine gute Taktik.
    Er lächelte. »Natürlich.«
    »Diese psychotischen Störungen, wie äußern sie sich?«
    »Im Allgemeinen treten halluzinatorische Erlebnisse auf, visuell und akustisch …«
    »Sie meinen, man sieht Menschen und hört deren Stimmen?«
    »Ja, in der Art. Dies kann von wahnhaften Überzeugungen begleitet sein, das heißt, Situationen und Beziehungen werden, basierend auf völlig falschen Grundlagen, wahrgenommen, wobei die betreffende Person gegen alle Einwände und Gegenbeweise immun ist. Dazu kommen Gedächtnisstörungen, was zu Problemen mit der Sprache oder der Informationsverarbeitung führen kann …«
    »Könnte hier reinpassen, dass ich mich nicht mehr an meine Bühnentexte erinnern konnte?«
    Er sah sie neugierig an. »Ja, ich glaube schon.«
    »Wie faszinierend«, sagte sie. »Nur eins noch. Mein Tumor …«
    Sie stellte fest, dass ihr das Possessivpronomen gefiel. Meine Wohnung. Meine Bücher. Meine Meinung. Mein Freund.
    Mein Tumor.
    »… kann es sein, dass er in irgendeiner Weise mit meiner alten Gehirnverletzung zu tun hat?«
    Er runzelte die Stirn, als hätte er das Gefühl, dass es unfair war von ihr, ihn wieder an den bevorstehenden Tod zu erinnern; dann sagte er: »Im Grunde habe ich nicht die geringste Ahnung. Es scheint mir unwahrscheinlich zu sein, aber vieles, was wir heute als gesichert betrachten, erschien einst ebenfalls als unwahrscheinlich.«
    Sie nickte, als wollte sie ihm versichern, dass dies genau die von ihr erwünschte Offenheit war.
    »Aber kann, ähnlich den bei einem Unfall erlittenen Gehirnverletzungen, auch ein Tumor psychiatrische Störungen auslösen? Oder Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen haben?«
    »Ja, sicherlich, aber ich glaube wirklich nicht, dass Sie sich darüber Sorgen machen müssten.«
    »Weil er mich bereits umgebracht hat, bevor Verhaltensänderungen wirklich signifikant werden, meinen Sie?«, sagte sie ernst.
    Wieder runzelte er die Stirn.
    Sie lächelte schnell.
    »Dann ist es ja gar nicht so schlecht!«, fuhr sie fort. »Aber es könnte sich auf mein Verhalten und meine Denkprozesse auswirken, richtig? Wobei es möglich wäre, dass einige dieser neuen Folgen die alten, von meiner Gehirnverletzung herrührenden Folgen teilweise ausgleichen oder negieren?«
    Er zuckte hilflos mit den Schultern. Er wirkte beinahe verwundbar.
    »Alles ist möglich«, sagte er, »aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass es viel Sinn ergibt, sich jetzt mit diesen Folgen zu befassen, wenn es doch vorrangig darum geht …«
    Sie stand auf. »Vielen Dank, Mr. Chakravarty. Sie waren mir eine große Hilfe.«
    »… die Ursachen zu behandeln«, beendete er den Satz, entschlossen, wieder zum Arzt-Patienten-Verhältnis zurückzukehren. »Miss Pomona, zu Ihrer Behandlung …«
    »Keine Zeit dafür«, sagte sie schroff. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Ihre Rechnung umgehend begleichen.«
    Dann, als sie spürte, dass er diese Spitze zum Abschied nicht verdient hatte, lächelte sie. »Und ich bin Ihnen wirklich dankbar. Passen Sie auf sich auf.«
    Sie ging hinaus zum Parkplatz. Man hatte das Todesurteil über sie gesprochen, doch sie empfand eine Euphorie, wie man sie erlebt, wenn man den Zahnarzt verlassen darf!
    Es war siebzehn Uhr dreißig. Sie wollte noch nicht nach Hause. Sie war noch nicht bereit für Myras mitfühlende Fragen und noch weniger, Hat vor ihrer Tür sitzend vorzufinden. Sie schaltete das Autoradio an und lauschte eine Weile lang Country- und Western-Musik. Deren oberflächliche Gefühlsduselei schien genau das zu sein, was sie jetzt nötig hatte. Um achtzehn Uhr fuhr

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