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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Einlieferung ins Krankenhaus empfahl sowie den Beginn einer dezidierten Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie –, und sie erfasste das Wesentliche, nämlich, dass der Tumor inoperabel sei und die Behandlung lediglich lindernde Wirkung habe. Aber eigentlich hörte sie nicht zu. Draußen auf der Straße nach Little Bruton hatte sie sich wieder nach dem Gefühl der Zeitlosigkeit gesehnt, und jetzt war es so weit. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie aufstehen, sich ihrer Kleidung entledigen und auf dem Schreibtisch des Arztes tanzen, sich dann wieder anziehen und erneut ihren Platz einnehmen, und die gesamte Zeit über würde er weitererzählen, ohne zu bemerken, dass sie der Dimension, die ihn gefangen hielt, entflohen war. Vielleicht aber, wenn er ein kluger und erfahrener Arzt war, der viel Zeit in seinem Leben damit verbracht hatte, in das menschliche Gehirn und in die menschliche Seele zu blicken, und deshalb nicht mehr getäuscht werden konnte, dann wusste er sehr wohl, dass sie ihn verlassen hatte und sich an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit aufhielt, weshalb er einfach in einem fort redete, um die Zeit zu füllen, bis sie sich gezwungenermaßen wieder zu ihm in den Käfig gesellen musste.
    Eines wusste sie mit Bestimmtheit. Sie musste am gleichen Ort wieder eintreten, an dem sie weggegangen war. Es gab keine Flucht in die Vergangenheit.
    Sie seufzte und kehrte mitten in einem seiner wohl austarierten Sätze zurück.
    »Wie lange werde ich ohne Behandlung noch leben?«
    Ein Zwinkern. Kein Indikator für eine weitere Erhöhung des Honorars, schätzte sie, sondern vielleicht eine geistige Erinnerungsstütze, um seine Sekretärin daran zu erinnern, Ms. Pomona unverzüglich die Rechnung zuzustellen.
    »Im besten Fall einige Monate, es könnten aber auch sehr viel weniger sein. Tumoren dieser Art können sehr schnell wachsen und …«
    »Wie lange mit Behandlung?«
    Er sah sie an, sah nach unten, holte Atem, als wollte er zu einer langen Rede ansetzen, sah ihr wieder in die Augen, die unverwandt auf ihn gerichtet waren, und sagte: »Länger.«
    »Viel länger?«
    »Wer weiß?«, sagte er. Er klang unglücklich. Lag es an ihrer Zukunft oder an seinem Nichtwissen? »Lange genug … um noch einiges zu tun.«
    »Was zu tun?«
    »Sich vorzubereiten … ich meine, es muss nicht passieren … so schnell, meine ich … und es gibt Dinge, ganz praktische, persönliche … heutzutage gibt es eine ganze Palette an Behandlungsstrategien … es ist möglich, bereit zu sein …«
    Seltsam, wie ihr Beharren, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ihn schließlich zögern und abschweifen ließ.
    »Bereit sein für den Tod?«
    Er nickte.
    »Den Tod?«, wiederholte sie, entschlossen, es noch einmal aus seinem Mund zu hören.
    »Den Tod«, sagte er.
    »Gut. Sie haben nichts über meine alte Verletzung gesagt.«
    Er wirkte verwirrt, dann erleichtert. Hier eröffnete sich ihm ein Fluchtweg aus ihrer kurzen Zukunft in ihre etwas längere Vergangenheit.
    Er sagte: »Nun, ich habe hinsichtlich der gesamten von Ihnen beschriebenen Symptompalette natürlich darüber nachgedacht. Ich habe sogar mit einem Kollegen gesprochen, der sich auf Neuropsychologie spezialisiert und eine Reihe von hoch angesehenen Artikeln über verschiedene Kategorien psychiatrischer Störungen verfasst hat, die sich als langfristige Folgen von Gehirnverletzungen ergeben könnten. Nicht dass ich Ihnen eine schwer wiegende psychiatrische Störung attestieren möchte, natürlich nicht, ich wollte nur die Möglichkeit ausloten, ob nicht einige Ihrer physischen Symptome als leichtere affektive Störungen einzuordnen wären …«
    Er entfernte sich wieder von ihr und verschanzte sich hinter seiner Diktion und seiner Syntax, die ihm über die Jahre hinweg so gute monetäre Dienste geleistet haben mussten.
    »Also«, sagte Rye, »was hat er gesagt, Ihr Kollege? Das Wesentliche, das genügt.«
    »Ja, natürlich. Obwohl Ihnen bewusst sein sollte, dass das für Ihren gegenwärtigen Zustand nicht relevant ist.«
    »Der Tumor ist für meine Kopfschmerzen verantwortlich, er führte zu dem Anfall und wird mich irgendwann umbringen. Ja, das ist mir bewusst, und ich verstehe auch, dass Sie, nachdem Sie den Tumor entdeckt haben, natürlich das Interesse an meiner alten Kopfverletzung verlieren. Aber da sie ursprünglich Bestandteil Ihrer Hypothese war … Verzeihung, Ihrer Diagnose …, ist es doch nur recht und billig, wenn ich für mein Geld auch den vollen

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