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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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zuzutun. Gedanken winden sich in meinem Kopf wie kleine Schlangen, die in einem Totenschädel nisten. Was bin ich dem lieben Sam schuldig? Was bin ich mir selbst schuldig? Und welches Patronat ist das wertvollere, das von Linda Lupin oder das von Justin Albacore? Welchem würde der Weise mein Vertrauen schenken?
    Gute Nacht, lieber Mr. Pascoe. Das zumindest hoffe ich für Sie. Für mich sehe ich nur lange, leere Stunden vor mir, in denen ich wach liege und über diese Dinge grüble, und über allem schwebt das Problem, was ich auf Albacores Angebot antworten soll.
     
    Ich habe mich getäuscht!
    Ich schlief wie ein Toter und erwachte zu einem gloriosen Morgen, strahlendem winterlichen Sonnenschein, kein Wind, nur leichter Frost in der Luft, der jeden Atemzug, den ich tat, in ein Glas Champagner verwandelte. Ich stand früh auf, frühstückte herzhaft und machte mich dann zu einem Spaziergang auf, um den Kopf freizubekommen und meine Nerven zu beruhigen, bevor ich zur Neun-Uhr-Sitzung Sams Referat vortrug. Ich verließ das College durch den Hintereingang, schlenderte an der Cam entlang und bewunderte, was hier gemeinhin als
The Backs
bezeichnet wird, das Hinterland. Nur wer sich der Schönheit absolut sicher ist, kann so verschwenderisch damit umgehen. Ach, welch zauberhafter Flecken dieses Cambridge doch ist, Mr. Pascoe. Ich bin mir sicher, Sie kennen es gut, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, ob Sie selbst dort oder in Oxford waren. Es ist ein Ort für die Jugend, an der sich die Seele weiten kann, und auch ich fühle mich, trotz allem, noch jung.
    Albacore sah ich erst, als ich kurz vor neun Uhr den Vorlesungssaal betrat. Seine hasenartige Nase zuckte vor Erleichterung. Wahrscheinlich hatte er sich darum gesorgt, dass sein »offenes Wort« vergangenen Abend für meinen schwachen Magen zu viel gewesen war und ich Reißaus genommen hätte!
    Er hatte für mich eine Plenarsitzung anberaumt, jeder Stuhl war besetzt. Er trödelte nicht lange herum – wahrscheinlich bemerkte er mehr als ich, wie nervös ich in diesem Moment war –, sondern stellte mich nur kurz vor, verwies dankenswerterweise nur durch eine knappe, förmliche Bemerkung auf Sams tragischen Tod, während ich dasaß und auf die erste Seite des Vortrags meines verstorbenen Freundes starrte.
    Der Titel lautete: »Die Suche nach dem Lachen in
Death’s Jest-Book

    Ich las den ersten Satz –
In seinen Briefen sprach Beddoes von seinem Theaterstück
Death’s Jest-Book
als einer Satire: aber auf was?
 – und versuchte die gedruckten Worte in meinem Mund in entströmende Laute umzuwandeln, was mir aber nicht gelang.
    Es kam ein lautes Räuspern. Es stammte von Albacore, der seinen Platz in der ersten Reihe eingenommen hatte. Neben ihm saß seine Frau Amaryllis Haseen. Sie blickte mich mit ihren großen veilchenblauen Augen an, die mir von unseren Sitzungen im Syke so vertraut waren.
    Ihr Anblick führte vielleicht dazu, dass auch noch mein letzter Nervenstrang riss.
    Niemals in meinem Leben ist es mir so hart angekommen, von meinem Stuhl aufzustehen. Ich muss wie ein Betrunkener ausgesehen haben, als ich die wenigen Schritte zum Pult zurücklegte. Glücklicherweise handelte es sich um ein solides, altmodisches Möbelstück, sonst hätte es im Einklang mit mir vor sich hin geschlottert, während ich mich mit beiden Händen daran festhielt, um mein Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Und mein Publikum – es war, als säßen alle am Grund eines Schwimmbeckens und als versuchte ich, sie durch die vom Wellengekräusel gebrochene und im reflektierten Sonnenlicht funkelnde Oberfläche zu erkennen. Die Anstrengung verursachte Übelkeit. Ich richtete den Blick zur Rückwand des Vorlesungssaals und starrte auf die große Uhr, die dort hing. Langsam kamen ihre Zeiger in meinen Fokus. Es war Punkt neun. Ferne Glockenschläge tönten durch den Raum. Ich senkte den Blick. Der Schwimmbecken-Effekt war noch immer da, ausgenommen davon war nur eine einzige Gestalt, die in der Mitte der letzten Reihe saß. Diese konnte ich klar erkennen, nicht weniger verzerrt, als blickte ich durch eine Glasscheibe. Und dennoch wusste ich, dies alles musste eine Täuschung sein.
    Denn es waren Sie, Mr. Pascoe. Dort saßen Sie und blickten mich unverwandt an. Einige Sekunden lang trafen sich unsere Blicke. Dann lächelten Sie mir aufmunternd zu und nickten. Und in diesem Augenblick wurde alles andere ebenfalls vollkommen klar, ich hörte auf zu zittern, und Sie

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